Ein Festival, das die Menschen „bewegt“

Mit geschärftem Profil: zum 6. Mal die „movimentos“ der Autostadt

oe
Wolfsburg, 08/05/2008

Im sechsten Jahr ihres Bestehens haben die „movimentos Festwochen der Autostadt Wolfsburg“ ihr Programm noch einmal kräftig erweitert und damit nicht zuletzt ihre Identität geschärft. Ursprünglich als reines Tanz-Festival gegründet, deckt es heute ein imponierend breites Spektrum ab – mit Szenischen Lesungen, Gesprächen und Vorträgen, Konzerten, Sonntagsmatineen und Orgelsoireen, Workshops und Kunstausstellungen – und in diesem Jahr ist auch noch eine überaus erfolgreiche Kinder-Tanzakademie hinzugekommen – mit über hundert Teilnehmern der verschiedensten Altersgruppen, die hier eine Reihe von selbst gestalteten Choreografien erarbeitet haben. Der Gewinn an intellektueller Breitenwirkung ist enorm.

Noch immer steht der Tanz im Mittelpunkt der Veranstaltungen, kuratiert, wie das heute so schön heißt, nach wie vor von Jürgen Wilcke, unserem Weltreisenden in Sachen Tanz, wahrlich ein „Homme de la danse“, der sein Hobby zu seinem Beruf gemacht hat. Auch in diesem Jahr hat er wieder – großzügig vom Volkswagenwerk gesponsert – sechs international renommierte Truppen nach Wolfsburg eingeladen, beginnend mit der brasilianischen Grupo Corpo, gefolgt von dem amerikanischen Garth Fagan Dance, der englischen Wayne McGregor / Random Dance, dem Béjart Ballet Lausanne, dem schwedischen Götebeorg Ballet und der kanadischen Compagnie Marie Chouinard. Auffallend allerdings, dass auch diesmal wieder keine deutsche Truppe beteiligt war. Wie wär's denn im nächsten Jahr zur finalen Krönung der vielbewunderten Arbeit von Martin Schläpfer mit einer Einladung an das Ballett Mainz.

Ich habe mich für die Béjart Kompanie entschieden im Jahr eins nach seinem Tod. Schon 2004, als wir ihm für sein Lebenswerk einen movimentos-Preis verliehen haben, konnte er nicht mehr selbst mit seinen Tänzern nach Wolfsburg kommen und ließ sich durch seine Tokioter Statthalter vertreten. Diesmal nun also seine Erben unter seinem Testamentsvollstrecker Gil Roman. Mit einem durchaus repräsentativen Querschnitt durch sein Oeuvre, beginnend und schließend mit dem Finale aus „Sacre du printemps“, das 1959 – also vor demnächst fünfzig Jahren, ein halbes Jahrhundert nach dem Pariser Debüt der Ballets Russes von Diaghilew – ihn in den internationalen Ruhm katapultierte und bis heute das Schlüsselwerk des Repertoires geblieben ist. Unter dem Titel „L'Amour – la Danse“ wurde der zweieinhalbstündig Abend zu einem reinen Nostalgie-Trip, mit Romeo und Julia quasi als tänzerischen Moderatoren, deren Liebe und deren Tanz durch die Zeitalter und gegen die brutalsten Widerstände, gegen Schlägerbanden und Stacheldraht sich behauptet.

Und so machten wir Station bei „Heliogabal“, bei „Wien, Wien, nur Du allein“, mit Schwarzkopfs unvermindert sinnbetörenden „Komm mit mir ins Chambre separée“, bei den „Liedern eines fahrenden Gesellen“ (unvergessen: Nurejew und Bortoluzzi) und den diversen Chansons und Pop-Songs von Queen und anderen Größen des Musikbusiness bis hin zu „Le Presbytère“. Und wie im Zeitraffer zogen sie in unserem Gedächtnis vorbei, die Stars der frühen Jahre wie Tania Bari, Michelle Seigneuret, Angele Albrecht, Maina Gielgud, Shonach Mirk, Rita Poelvoorde und die unvergleichliche Suzanne Farrell, die Germinal Casado, Antonio Cano, Patrick Belda, Vittorio Biagi und Lothar Höfgen – und er, der Einzige, Jorge Donn. Welch eine Versammlung jugendlicher Lebens- und Liebesfreude, so ungebremst in ihrem Elan dansant! Sie beseelen auch die heutige Enkelgeneration – auch wenn Tänzerinnen und Tänzer mit so markantem Persönlichkeitsprofil wie die eben genannten nicht zu entdecken sind.

Ungeschmälert indessen die Kommunikationsfähigkeit, ihr Charme und der Eskalationsdrive der großen Ensembles, der bricht wie eine Lawine über das Publikum herein, das hoch gestapelt die enorme Kraftwerkarena bis auf den letzten Platz füllt und am Ende, nachdem es sich rhythmisch warmgeklatscht hat, von den Sitzen aufspringt und den Tänzern zujubelt. „movimentos“ – ein Festival, das die inzwischen von weither in die Autostadt strömenden Menschen sehr wörtlich „bewegt“.

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern