Entkernte Bewegungsgebäude

Die Akademie der Künste lädt zur Wiederbegegnung mit der Arbeit Gerhard Bohners

Berlin, 24/09/2008

Was die Leistung herausragender Tanzpioniere ausmacht, welche nachwirkenden Veränderungen sie dem Tanz weit über Deutschland hinaus aufprägen konnten, danach fragt die Reihe „Politische Körper“ in der Akademie der Künste. Nach Susanne Linke widmet sich die zweite Ausgabe einem Berlin besonders verbundenen Tänzer und Choreografen. Wer Gerhard Bohner aus seinen letzten Lebensjahren kennt, dem ist die schwanke, hagere, hochragende Gestalt mit dem durchdringenden Blick unvergesslich. Ein Gesicht wie die Landkarte des Lebens, gezeichnet von Krankheit, Verletzlichkeit, Verbittertsein über mangelnde Anerkennung. Zwei Jahrzehnte lang galt der 1936 in Karlsruhe Geborene als ungebärdig kantiger Einzelgänger unter den Choreografen deutscher Nachkriegsmoderne. Mit den expressiven Intentionen des Ausdruckstanzes machte ihn Mary Wigman bekannt, klassischen Tanz hatte er in seiner Heimatstadt studiert. Engagements in Mannheim ab 1958, kurz in Frankfurt, dann ein Jahrzehnt an der Deutschen Oper Berlin auch unter Tatjana Gsovsky - und dort eine Art Palastrevolutionär - stachelten seinen Willen nach dem eigenen Weg an. Auf erste Choreografien seit 1964 folgten 1967 der Debütabend in der Akademie der Künste, 1971 der Durchbruch mit „Die Folterungen der Beatrice Cenci“, einem aufbegehrenden Nachklang der Studentenunruhen.

Als Ensembleleiter an festen Häusern, 1972-75 in Darmstadt, 1978-81 gemeinsam mit Reinhild Hoffmann in Bremen, blieb er nicht lang: Zu sehr engten ihn feste Strukturen ein. Nur der eigene Körper blieb ihm fortan als Ausdrucksmedium. Solowerke wurden während dieses letzten Jahrzehnts seine Domäne - in ihnen konnte er am ehesten sein Grübeln über menschliche Bewegung formulieren. Gerade sie sind heute, neben der Rekonstruktion des „Triadischen Balletts“ seines Anregers Oskar Schlemmer, Bohners Erbe und leben jetzt selbst durch Rekonstruktion weiter. Dazu gehört die ab 1989 für die Akademie der Künste entworfene Trilogie „Im (Goldenen) Schnitt“. Bohner systematisierte darin, angeregt durch die antike Frage nach dem Maßverhältnis bei der Teilung von Linien und Körpern, elementare tänzerische Bewegungsmöglichkeiten der Körperteile und setzte sie in Bezug zu Raum, Zeit, Musik.

Den Raum für Folge I schuf die Bildhauerin Vera Röhm: abgebrochene Holzpfeiler mit Plexiglasspitzen als Konfrontation von Natur und Synthetik. In rund 60 Minuten zeigte Bohner zu Bachs „Wohltemperiertem Klavier I“ 24 Miniaturen über die Geometrie des Raums und die Mechanik der Gelenke auf: eine Weltchronik der Bewegung, aus der sich bausteinartig aller Tanz zu fügen scheint. Der Katalane Cesc Gelabert nahm sich 1996 dieses Solo seines Freundes Bohner an und stellt es, nach zahllosen internationalen Gastspielen, nun erneut am Ort der Uraufführung vor. Das karge, beinah bewegungslose Duo „SOS“ für die Gruppe Rubato wurde 1991, ein Jahr vor seinem Tod, zu Bohners Vermächtnis. Auch diese Reflexion über Zeit, ein tänzerischer Notruf infolge Stillstands, letzte Arbeit eines Verlöschenden, ist nochmals zu sehen. Vortrag, Podiumsgespräch und Filmlecture bereichern das dreitägige Bohner-Seminar.

25.-27.9., Akademie der Künste

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