Abend der Erinnerungen

„Glanzlichter der Revue“ im Friedrichstadtpalast

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Berlin, 03/05/2008

Vierundzwanzig Stunden nach der Sensation (kein anderes Wort taugt für Christian Spucks „Leonce und Lena“) in Essen Tanz der ganz anderen Art: „Glanzlichter der Revue“ im Berliner Friedrichstadtpalast – im vorletzten Monat der seit Januar siebenmal pro Woche laufenden Produktion im Haus mit den fast zweitausend Plätzen (und schon laufen die Vorbereitungen für die nächste Show im Herbst). Und wieder Staunen und Bewunderung für diese Truppe – immerhin vierzig Tänzerinnen und zwanzig Tänzer plus Stars und akrobatische Sonderakte. Seit über einem Jahrzehnt von Roland Gwalik geleitet, der bei Tom Schilling an der Komischen Oper zusammen mit Hannelore Bey als Partnerin Karriere gemacht hat, dann an die Staatsoper überwechselte und jetzt die letzten Tage seiner Ballettdirektion zählt (aber auch danach noch vielseitig tätig sein wird – ein Theatermensch durch und durch, der es einfach nicht lassen kann).

Vor der Vorstellung, in der Pause und hinterher Turbo-Gespräche über die Vergangenheit und Gegenwart im Showbusiness – mit vielen gemeinsamen Erinnerungen (zum Beispiel an die „Sieben Todsünden“ von Brecht und Weill als deutsche Erstaufführung von Tatjana Gsovsky in Frankfurt mit Lotte Lenya und der blutjungen Karin von Aroldingen – wobei er ganz am Rande erwähnt, dass auch er Othello getanzt hat, in Arila Siegerts Produktion an der Komischen Oper – in der Gerald Humel-Version, die Neumeier ursprünglich für Hamburg bei dem Komponisten bestellt, dann aber doch nicht zur Aufführung gebracht). Dankbar blickt er auf ein überreiches Theaterleben zurück.

Wenn ich mir das vorstelle, sechzig Tänzerinnen und Tänzer, die siebenmal pro Woche dieselbe Show in immer gleicher Perfektion abzuliefern haben – bei einem freien Tag pro Woche: die ständigen Um- und Neubesetzungen, die Krankmeldungen, die Mutterschaftsurlaube ... die Organisation, die nötig ist, einen solchen Betrieb aufrecht zu erhalten, diese Logistik, und das alles Jahr um Jahr, mit immer wieder neuen Effekten ... Chapeau! Aber genau das ist es, was ich an diesem Abend so faszinierend finde: die Theaterperfektion, mit der ein Effekt den anderen jagt, in wohl kalkulierter Dramaturgie, damit es nicht zu einer Reizüberflutung kommt, wie das inszeniert, choreografiert (von den verschiedensten Persönlichkeiten, in diesem Programm ist auch Jan Linkens dabei), technisch arrangiert ist, dieses Gesamttheater aus Text und Musik, Gesang und Tanz, Dekor und Bühnenmaschinerie, Kostüme, Farben, Licht – und das alles in nahtlosem Zusammenwirken, mit perfekten Timing.

Meinen grenzenlosen Respekt! Viel Nostalgie kommt an diesem Abend auf. Ganz persönlich bei mir an meinen ersten Besuch im alten „Theater des Volkes“ (auf der anderen Seite der Friedrichstraße – das Theater, das unter Max Reinhardt Großes Schauspielhaus hieß), beim „Zigeunerbaron“, das dürfte über siebzig Jahre her gewesen sein. Nostalgie – und ist doch ganz heutiges Berlin, allein wenn ich mir die Jungs ansehe, die so nichts von Broadway- und Hollywood-Glamour an sich haben, die Enkelgeneration von Horst Buchholz ...

Das Programm beschwört die berühmten Vorgänger, die ich alle noch richtig live auf der Bühne erlebt habe: Josephine Baker, Marlene Dietrich, Frank Sinatra, Charles Aznavour (nein, Fritzi Massary habe ich nicht mehr erlebt, sooo alt bin ich ja nun wiederum auch noch nicht). Und ist doch so elektrisierend heutig, kosmopolitisch-global, ja, auch so heutig sexy, sozusagen metrosexy. Einfach toll! Freut mich für Gawlik, dass er sich mit einer so fabulösen Show vom Berliner Friedrichstadtpalast verabschiedet. Nochmals meine Bewunderung für ihn: was für ein Theaterleben!

 

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