Ein Choreograf der permanenten Unrast

Zum Tod von Glen Tetley

Stuttgart, 28/01/2007

Er galt lange Zeit als notorischer Unruhestifter: Glen Tetley, der ein paar Tage vor seinem 81. Geburtstag am Freitag in West Palm Beach, Florida gestorben ist. So konnte er sich im Vorjahr noch als ein Pionier der großen Choreografen-Generation der 27er wähnen, die alle in diesem Jahr als Achtzigjährige ihren Ehrenplatz im Oberhaus des Balletts beziehen: Béjart, Grigorowitsch, Cranko, Walter und Smok. Und als der ließ er sich vor Jahresfrist noch einmal feiern – in Stuttgart mit einem Tetley-Dreiteiler aus „Pierrot lunaire“, „Voluntaries“ und „Sacre du printemps“, die in seiner langen Werkliste aus rund 70 Titeln die Stützpfeiler seines Weltruhms bilden.

Wirklich heimisch geworden ist er auf dieser – langen Wanderschaft wohl nirgends – nicht in Amerika, wo er am 3. Februar 1926 in Cleveland/Ohio geboren wurde – nicht in Europa, wo er kontinuierlich ein paar Jahre in Den Haag, in London und in Stuttgart, später auch in Spoleto gearbeitet hat, ohne doch wirklich sesshaft zu werden, und auch nicht bei seinen gelegentlichen Gastspielen im Fernen Osten. So wurde er zu einem Wanderer nicht nur zwischen zwei, sondern mehreren Welten. Wirklich zu Hause war er wohl nur im geistigen Reich der Musik, und das war auf das 20. Jahrhundert begrenzt – kein Bach, kein Mozart, kein Tschaikowsky – dafür um so häufiger Strawinsky, auch Schönberg, Berg und Webern bis zu Stockhausen, Berio, Henze und Subotnick (nebst zahlreichen anderen).

Als Cranko ihn kurz vor seinem Tod als Gastchoreograf nach Stuttgart einlud, erhoffte er sich wohl eine dauerhaftere Beziehung – mit ihm als Tandem-Kollegen für eine Perspektiverweiterung des Repertoires der Kompanie in Richtung Modern Dance. Die hat es dann wohl gegeben, aber ohne Crankos Mitwirkung, und die hat der Kompanie auch ausgesprochen gut getan, ließ ihn aber während seiner kurzen Direktionszeit als Crankos Nachfolger von 1974 bis 1976 an der Unversöhnlichkeit der ästhetischen Konzepte scheitern. Die Chemie stimmte einfach nicht. Um so erfreulicher, dass dann nach Übernahme der Stuttgarter Ballettdirektion durch Reid Anderson zur Spielzeit 1995/96 eine allmähliche Wiederannäherung erfolgte, von der letzten Endes das Repertoire, die Tänzer und natürlich auch das Publikum profitierte.

In seinem Oeuvre mischen sich vielerlei Einflüsse: Ballett, Modern Dance, auch seine mehrjährige Broadway- und Musical-Erfahrung haben dazu beigetragen. Er hat bei den verschiedensten Kompanien getanzt – auch bei Martha Graham, beim American Ballet Theatre, beim Joffrey Ballet und in der Truppe von Jerome Robbins, bevor er sich Anfang der sechziger Jahre zunehmend der Choreografie zuwandte und seit seiner Übersiedelung nach Europa als Co-Choreograf neben Hans van Manen beim Nederlands Dans Theater ausschließlich kreativ als Choreograf tätig war. Prägend für sein ganzes Leben waren sicher die Erfahrungen, die er in seinen frühen Ausbildungsjahren gesammelt hatte – er war ja erst relativ spät zum Tanz gestoßen und hatte vorher Medizin studiert. Und da war es insbesondere Hanya Holm, der er wesentliche Anregungen verdankte. Eine von Mary Wigmans Vorzugsschülerinnen, war sie Anfang der dreißiger Jahre nach New York gekommen, um dort eine Filiale der Dresdner Wigman-Schule aufzubauen. In ihrem Unterrichtsprogramm hatte sie zunehmend amerikanische Einflüsse des Contemporary Dance assimiliert und dadurch ihr Vokabular ernorm erweitert, was dem Repertoire ihrer Truppe zugute kam, der Tetley als junger Solist mit markantem Profil angehörte, wie er ja auch in ihren Broadway-Produktionen (unter anderem in der Uraufführung von „Kiss Me, Kate“) mitgewirkt hat.

Ein unruhiger Geist, der von den Tänzern mehr geliebt wurde, da sie die Zusammenarbeit mit ihm vor immer neue Herausforderungen stellte, als vom Publikum, das oft durch seine überintellektuellen Konzepte irritiert wurde, trieb es ihn von einem Engagement zum anderen. Ohne dass er bei einer Kompanie wirklich heimisch geworden wäre, las man heute über ein neues Ballett, das er in Kanada einstudiert hatte, um die nächsten Informationen über ihn dann aus Israel, beziehungsweise aus Dänemark oder aus Australien zu erhalten. Die amerikanische „International Encyclopedia of Dance“ resümiert seine Arbeit als „von einer fieberhaften Intensität charakterisiert, einem geschmeidigen Nonstop-Drive und einer wollüstigen Körperlichkeit“. Ich würde noch seine exzessive Dynamik hinzufügen, die seinen „Sacre“ wie eine geballte Ladung Dynamit explodieren lässt.

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