Brav durchbuchstabiert

„Romeo und Julia“

Schwerin, 24/09/2007

„Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu“ – wusste schon Heinrich Heine, obwohl er dabei nicht an „Romeo und Julia“ dachte. Das unverwüstliche Drama Shakespeares, die Geschichte von der Liebe zweier Menschen, die einander verfeindeten Geschlechtern angehören, trägt über die Jahrhunderte bis in die Gegenwart. Der Erfolg ist deshalb selbst dann gesichert, wenn Choreografie und die süffige, dramatisch aufgeladene Musik von Sergej Prokofjew nicht bruchlos miteinander verschmelzen oder sich aufregend aneinander reiben.

In Schwerin setzt die Südkoreanerin Young Soon Hue auf den braven Mittelweg, sie buchstabiert getreulich die Vorlage nach, verarbeitet einige Einflüsse im Bewegungsmaterial, das sich schnell zu bloßen Wiederholungen abnutzt. Eine eigene Note schält sich nicht heraus. Technisch gibt sie dem kleinen, aber durchaus feinen Ensemble – die Frauen auf Spitze - und besonders den Solisten einige Nüsse zu knacken, die annehmbar bewältigt werden, zieht man die Premieren-Nervosität ab. Sie hatte den Schwerinern bereits früher (2005/06) ihr Stück „Alles Balletti“ überlassen, jetzt wagte sie sich an eine Neueinstudierung. Nach ihrer Karriere als Tänzerin bei Madsen, Forsythe, Scholz, Spörli und Vàmos wirkt sie nun als freischaffende Choreographin.

Höhepunkte des Abends, bei dem Bühnenbildner Andreas Auerbach in angedeutetem Renaissance-Ambiente viel Raum auf der Bühne freilässt, sind der expressive „Tanz der Ritter“ im Hause Capulet mit drohendem Unterton: Mit den Capulets ist nicht zu spaßen, mögen sie auch in Kleidern der Gegenwart (Kostüme: Franziska Just) auftreten. Geschossen wird allerdings nicht, selbst wenn der Prinz in Schwarz mit Schlapphut wie ein Mafiaboss auftritt. Und die Aufwertung der Amme (Daniela Brümmer) zu einem lebenslustigen schlanken Vollweib, das auf Einkaufstour geht, heftig mit den Männern auf der Straße flirtet, mit Julia leidet. Brümmer serviert das trocken auf den Punkt, ohne Übertreibung. Und die Soli der Julia von Jelena-Ana Stupar nach der Pause, in denen sie in die tragische Dimension vorstößt. Hohe Sprünge mit weichen Landungen, gerundete Phrasierungen und beseelte Arme zeichnen überzeugend die Stimmung der jungen Frau nach.

Störend wirkt im ersten Teil ihr ungünstig geschnittenes Kostüm, das ziemlich figurlos an ihr herunterhängt. Mit seiner fast unbewegten Miene, dem gleichmäßigen Fluss seiner Bewegungen ist ihr der bubenhaft wirkende Rustam Savrasov kein ebenbürtiger Partner. Rasende, alles überrennende Leidenschaft ist nicht sein Ding, auch den Zorn über den Tod Mercutios nimmt man ihm nicht ab. Dazu beschäftigt Young Soon Hue die beiden beim Pas-de-deux im Raum Julias mit einem ununterbrochenen Ablauf von vertrackten Hebungen, Herumschwenken, Rollen, so dass dem Paar kein Raum zur liebevollen Zärtlichkeit bleibt. Auffallend die fast durchweg unsauberen Abschlüsse Savrasovs.

Und natürlich juxt sich der Mercutio Maxim Perjus als eindimensionaler Spring- und Drehteufel durch die Szene, nachdem er seine anfängliche Premierennervosität einigermaßen überwunden hat. Er ist immer gut drauf, selbst im Todeskampf. Dem immer auf Krawall gebürsteten Tybalt gibt David Ziegler die gebührende finstere Note, ohne je zu differenzieren. Vielleicht sollte er es nicht. Hauen sich die gegnerischen Gruppen, Männer und Frauen, zuerst in einer Kneipe mit Billardqueues – der Moderne geschuldet? – steigern sie sich später zu scharfen Waffen mit Degen und Dolch. Die Fechtszenen wirken unbeholfen, das Abstechen Mercutios wird zur elenden Stocherei. Der anachronistische Eindruck, nirgends gerechtfertigt durch besondere Aktionen, angesichts der modernen Kleidung offenbart die mangelhafte Dramaturgie Young Soon Hues, die noch schärfer hervortritt bei der in diesem Rahmen völlig unglaubwürdigen Zwangsheirat. Weiterer Lapsus: Die Figur der Rosalinde (rassige Schönheit: Kellymarie Sullivan) wird nicht verortet in Bezug auf Romeo, die Sullivan tanzt trotz hohen Einsatzes nebenher.

GMD Mathias Foremny dirigiert selbst das tüchtige Orchester sehr aufmerksam mit straffen Tempi, akzentuiertem Rhythmus und Mut zu kräftigen Akzenten. Die beängstigende Wucht des Rittertanzes gelingt seinen Musikern ebenso wie der sich katastrophisch auftürmende Capulet-Montague Block. Hier und da fehlt die federnde Geschmeidigkeit.

Choreographisch also auf lediglich solidem Niveau, ist der Ballettabend jedoch tänzerisch sehr ansehbar und musikalisch hochwertig anzuhören. Begeisterter Beifall, vielleicht auch der Erleichterung des Publikums geschuldet, denn nach langer Durststrecke steht wieder ein berühmtes Handlungsballett, ein garantierter Renner auf dem Spielplan.
 

Choreographie: Young Soon Hue
Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin
Premiere: 21.9.07 
www.theater-schwerin.de

 

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