Elisabeths kurzer Tanz durchs Leben

In Nordhausen vollbringt „Die Heilige“ Wohltaten und Wunder

Nordhausen, 12/11/2007

Hat der Tanz als billige Verfügungsmasse gerade in kleineren Theatern einen schweren Stand, so bildet Nordhausen eine der rühmlichen Aus-nahmen. Bis 2012 hat dort Ballettchefin Jutta Wörne Planungssicherheit, wenngleich nach 2009 Einsparungen ins Haus stehen. Während das Schauspiel nach Rudolstadt ausgelagert wurde, verblieben Musiktheater und Ballett auf ausdrücklichen Wunsch in der Harzmetropole und bespielen nun auch die Stadt der Tanzfeste mit. Seit 2004 leitet die aus dem Badischen stammende Wörne, eben mit dem ersten Nordhäuser Theaterpreis ausgezeichnet, ihr bewährtes Team aus je sechs Frauen und Männern. Acht Nationen von Brasilien bis Japan beteiligen sich. Handlungsballette und sinfonische Werke umreißt die Mittdreißigerin mit Tänzerstationen in Detmold und Kassel ihr Programm: etwas erzählen, Emotionen sichtbar machen. Besonders erfolgreich lief mit mehr als den üblichen sieben, acht Vorstellungen ihre Choreografie zu Mozarts Re-quiem, und auch eine Reminiszenz an den spanischen Maler Juan Miró stieß auf Zuschauerinteresse. In einem von der Theaterleitung angemieteten Außerhalb-Studio mit Bühnengröße hat der Tanz solide Produktionsbedingungen.

Dort entwarf Wörne als fünften Abend „Die Heilige“, ein Stück um die auf der Wartburg verheirateten ungarische Königstochter Elisabeth. Thüringens Nationalheldin, zum 800. Geburtstag mit Schauspiel in Meiningen, Tanztheater und Musical in ihrer einstigen Wirkungsstätte Eisenach gefeiert, eroberte sich kurz vor Toresschluss noch das Ballett. Dies indes mit weniger glücklicher Hand, obwohl die Nordhäuser nicht die Kosten einer Auftragskomposition gescheut haben und dazu Elisabeths Vita und Verklärung knappe zwei Stunden lang in vier Abteilungen mit insgesamt 30 kleinteiligen Szenen aufrollen.

Schaurig hebt sich Elisabeths ramponierter Totenschädel vom Schwarz des Vorhangs ab. Leere respektive kupferfarben gefüllte Spitzbögen bleiben abendlang die einzige, fixe Dekoration; lediglich ein hängendes Halbrund, Lüster oder Krone, kann niederfahren. Noch ehe der Tanz zu Wort kommt, zitiert eine Stimme aus dem Off Klingsors Elisabeth-Lobpreis von 1207. Zu Musik von mittelalterlichem Gepräge ereignet sich höfischer Tanz um das kleine Mädchen. Dass der gebürtige Wernigeröder René Hirschfeld seine Partitur auch im weiteren kaum szenisch, sondern fast durchgängig sinfonisch gedacht hat, ist ihr Hauptmanko: keine dramatischen Ballungen, keine Entwicklungen, die der Tanz bedienen könnte, dafür entbehrliche Kompositionen nach Bibeltexten für ein unsichtbar auf dem Rang platziertes Sängerquartett. Von den atmosphärischen Klage- und Leidschwebungen lässt sich die Choreografie zu dauerhaft sinfonischem Gestus verleiten, statt sich radikal ihre gestalterischen Freiheiten zu nehmen. Symbolhafte Armbewegungen halten die Akteure vielfach am Platz, Statik erstickt klare, dynamische Raumformen und verhindert Charakterzeichnung, obzwar viele Gestalten verbürgte Namen tragen.

Drei Tänzerinnen, Kind, Frau, Heilige, teilen sich in die Titelfigur, die bis zum Überdruss von einer Armada der Armen mit stets derselben Gestik umlagert ist. Ihren Duetten mit dem Gatten Ludwig fehlt es an Zauber und Durchschlagskraft. Einmal, gleich nach der Pause, wartet Hirschfeld mit einem betörend innigen Thema für Solovioline auf; Bläser begleiten Elisabeths hinzutretenden Beichtvater Konrad von Marburg, die einzige Figur mit strafferem Bewegungsvokabular: Was ein formidabler Pas de deux mit Aussagetiefe hätte werden können, bricht musikalisch jählings ab. Bis zum Schluss bleibt eine junge Choreografin, eingeklemmt zwischen Partitur und Fremdlibretto, auf der Suche nach der eigenen Bewegungssprache zwingende, zupackende Bilder schuldig, mangelt es an effektvollem Theater, auch mit inszenierten Verwandlungen. Von der Leistungsfähigkeit des - durch Statisten verdoppelten - Ensembles bietet jene gebremste „Heilige“, unterkühlt und distanziert, eher szenische Fantasie denn Handlungsballett, jedenfalls keinen sicheren Eindruck. Und die abschließenden Wundertaten der Toten entbehren in dieser Umsetzung nicht einer unfreiwilligen Komik. Weihevoll krönt im Epilog Kaiser Friedrich II., dies reale Überlieferung, Elisabeths Totenschädel.


Wieder 11.11., 22.12., Kartentelefon 03631/98 34 52

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