Triple-Bill-Premiere des Staatsballetts an der Deutschen Oper

Die Sichtbarkeit der Gegenwart

Berlin, 13/03/2006

Vladimir Malakhov wollte mit seiner Auswahl der drei Choreographien von David Parsons, Leo Mujic und William Forsythes „die Gegenwart sichtbar machen“. David Parsons Choreographie „Envelope“, die bereits aus dem Jahr 1986 stammt, war hier die sichere Wahl eines etablierten Stücks, das das Publikum sofort mit Humor und Tempo einnimmt. Ähnlich wie der Zauberlehrling von seinem Besen beherrscht wird, werden die sieben schwarz vermummten sonnenbebrillten Tänzerinnen und Tänzer von einem widerspenstigen Briefumschlag beherrscht, der wie ein Bumerang zurückkehrt, alle an der Nase herumführt und immer wieder aus dem Nichts auftaucht.

Mit dem zweiten Stück hingegen bewies der Intendant des Staatsballetts große Risikobereitschaft. Er engagierte den noch an seinen choreographischen Anfängen stehenden Leo Mujic nicht etwa für den „Shut up and Dance“-Abend – die vom Staatsballett eingerichtete Förderung des choreographischen Nachwuchses – sondern für eine fast 40-minütige Choreographie mit fünfzehn Tänzerinnen und Tänzern. „Out of 99“ heißt sein Stück. Es beginnt mit einer Rückenansicht auf neun Tänzer und Tänzerinnen in kurzen blauen Hosen und Tops und die durch eine rote Hose hervorgehobene, starke Nadja Saidakova. Es folgt eine einheitliche Armbewegung, die unweigerlich an „Serenade“ erinnert. Tänzer brechen paarweise aus der Gruppe aus und folgen dann – manchmal zeitlich kurz versetzt – derselben Choreographie. Ein interessanter Anfang. Im hinteren Teil der völlig offenen Bühne steht ein Flügel, auf dem Variationen von Clara Schumann und Johannes Brahms zu einem Thema aus Robert Schumanns Opus 99 gespielt werden. Mujic will die von der Musik evozierte Atmosphäre einfangen. Die zahlreichen Trios, die oft mit starker Bodenverbundenheit getanzt werden, gehören als Ausdruck der berühmten Dreiecksgeschichte zwischen Robert und Clara Schumann und Johannes Brahms denn auch zu den Stärken des Stücks, dem es aber trotz Steigerungen in der Musik durch Elektroklänge (Arne Vierck) und trotz ausdrucksstarker Tänzer nicht gelingt, eine kontinuierliche Spannung aufrecht zu erhalten. Obwohl der bewusste Einsatz von Slow Motion und einzelne eigene Bewegungsmomente mit verdrehten Gliedern durchaus starke Momente vermitteln, ist das Gros der Bewegungen doch nicht originell genug: Forsythe-Hüften und -Arme werden mit der Neoklassik eines Christopher Wheeldon verbunden, ohne dass das Stück als Ganzes zusammengehalten wird.

Mit der Auswahl von Forsythes „The Second Detail“ als letzter Choreographie des dreiteiligen Ballettabends war der krönende Abschluss gesichert. Dieses spannungs- und energiereiche Stück zu einer von Thom Willems‘ besten Kompositionen, das von einer streng geometrischen Anordnung ausgeht, die aber immer wieder aufgebrochen wird, wurde von Tänzern des Staatsballetts sicher etwas klassischer als von Forsythe-Tänzern, aber absolut mit dem nötigen Drive getanzt. Allen voran brillierte Bettina Thiel, doch auch die anderen Tänzer standen ihr in nichts nach.

Die Gegenwart, die in „Triple Bill“ sichtbar wird, ist eine Gegenwart, die vor allem auf der Professionalität längst etablierter Choreografen basiert. Zwar ist der Generationenmix, der die Programmzusammenstellung ausmacht, zu begrüßen, die künstlerische Spannung, die dadurch impliziert ist, wird aber nur teilweise eingelöst.

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