Orpheus und Eurydike

Gregor Zöllig inszeniert eine Tanzoper

Bielefeld, 21/02/2006

Mit dem Tanz eine weitere Dimension öffnen, über den Gesang und Orchesterklang hinaus – da bietet sich die Ballettoper „Orpheus und Eurydike“ an, Gluck/Calzabigis epochale Reformoper (1762). Tanztheaterchef Gregor Zöllig hat in Bielefeld zugegriffen, seiner neuen Wirkungsstätte nach Jahren in Osnabrück. In der Rudolf-Oetker-Halle, der Ersatzspielstätte während das Theatergebäude saniert und umgebaut wird, sucht er die Erweiterung mit gleich fünf Eurydike-Tänzerinnen und vier Orpheus-Tänzern, den Tod, der sich überall einmischt, bringt er zusätzlich ins Spiel. Die Sängerinnen werden szenisch eingebunden: Orpheus, gesungen von Kaja Plessing mit balsamisch strömendem Alt, reiht sich hier und da in die Gruppe ihrer Ebenbilder ein, wie auch die Eurydike (Victoria Granlund). Amor (Anke Briegel) streitet gleich zu Beginn mit dem Tod in einer Art Aussichtsloge in halber Höhe der Rückwand. Sie schreibt mit Kreide vorausschauende Worte an eine Tafel: Kein Blick, Nichts verraten, Unglückselig (Ähnliches wird später plakativ auf mannshohe Stellwände geschrieben). Daneben zeigt eine Uhr die Echtzeit. Zur Begleitung ein Knistern und Knacken und Rauschen wie von einer historischen Schallplatte. Unten spielt sich derweil ein kleines Drama von Liebe und Dominanz zwischen Mann und Frau ab. Zöllig nimmt die Oper als gegenwärtiges Drama, nicht in mythologische Gefilde entrückt, sondern im schmucklosen Umfeld. Ein langer Tisch, Stühle, Stellwände (Bühnenbild: Tilo Steffens), fast alltägliche Kleidung bis auf den Tod (Kostüme: Rupert Franzen) reichen ihm aus. Dem klangmächtigen, sehr präzisen Chor verpasst er Blockbewegungen, einfache, aber profilierte Gestik beim Tode der Eurydike. Wie Bürokraten vom Furienamt des Hades gekleidet, schleudern Chorsänger/innen im zweiten Akt dem um seine Eurydike flehenden Orpheus ihr Nein entgegen, verbarrikadiert hinter einer Phalanx von Tischen. Das ist eindrucksvoll, ohne aber die schreckerregende Größe der Musik zu erreichen.

Offensichtlich bewusst bricht Zöllig immer wieder aus der direkten Interpretation der Vorlage aus. Etwa, wenn er die Tänzerinnen zum Reigen der seligen Geister durch schmerzlich verdrehte Posen führt, ihnen Verzweiflung statt der Süßigkeit der Musik verleiht. Das fasziniert, auch wenn es nicht unbedingt dramaturgisch überzeugt. Ebenso beeindruckend sind die Paarsequenzen, in denen Orpheus und Eurydike ihren Kampf ausfechten: Sie will ihn ansehen, er wendet sich gequält ab, weil es ihm die Götter verboten haben. Zöllig variiert geschickt das Ziehen, Heben, sich Abwenden. Da geht sein Konzept der sich ergänzenden Unterschiedlichkeit von „statuarischem“ Gesang und Raum greifendem Tanz auf. Wenn er allerdings zum Klagegesang des Orpheus die Tänzer ohne Unterlass, gewissermaßen atemlos agieren lässt, zerbröselt das Geschehen, auch mangels scharf gezogener Bewegungsprofile. So laufen ihm einige Abschnitte aus dem Ruder, fügt sich das Tanzgeschehen, dem intensiven Einsatz des Ensembles zum Trotz, oft nicht zur zweiten Dimension. Dirigentin Carolin Nordmeyer führt das sehr aufmerksame Orchester sehr straff, hebt die unvermindert wirksame Wucht und den Farbenreichtum von Glucks Werk hervor

 

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