Neumeier scheitert an Parzival

Die Hamburger Premiere von „PARZIVAL - Episoden und Echo“

Hamburg, 13/12/2006

Parzival tanzt den Weg vom tumben Toren des Anfangs, mit seiner Mutter Herzeloyde (Anna Polikarpova) der Welt abhanden gekommen, bis zum mitleidenden Wesen am Ende, tröstlich umgeben von Menschen. John Neumeier geht es in seinem gut zweieinhalbstündigen Werk offenbar um das Menschwerden in einer wilden, rauen Welt voller Krieg, Hass, Egoismus. Zu Beginn umschwirren schwarze Vögel in geplusterten Federhosen und -kostümen – fast wie Papageno und Papagena – in fliegenden Sprüngen den unbedarften Parzival (Edvin Revazov im weißen Hemd mit Teddybärchen), wie Spielgefährten und Unheilverkünder zugleich. Im Finale mutieren sie ins Weiße, der Farbe der Unschuld.

Auf einer Insel mitten in der Bühne hockt Parzival, von einem Schilfgürtel umgeben (Bühnenbild: Peter Schmidt). Die Zuflucht zerbricht, als Ritter und Krieger in sein Idyll eindringen, in dem ihn Herzeloyde vor der tödlichen Gewalt draußen bewahren wollte. Daraus entwickelt sich eine Kette leidender Menschen. Herzeloyde stirbt, als Parzival sie verlässt. In einer Art Todes-Pas de deux vereinigt sie sich mit Parzivals totem Vater Gahmuret (Amilcar Moret Gonzalez), sie bedecken ihre Gesichter mit der Schleppe ihres weißen Kleides, wie ein Leichentuch. Der rote Ritter (Stefano Palmigiano) stirbt, weil er Parzival, dem unschuldigen, suchenden Mörder, in die Quere kommt. Dem sterbenskranken Fischerkönig (etwa dem Amfortas entsprechend: Carsten Jung mit intensiv schmerzlicher Körpergebärde), auf einem Schiffsbug herangleitend, verweigert er aus Unbedarftheit sein Mitleid. Parzival irrt umher, zu Fuß und auf einem Roller, schon lang hat er sein weißes Unschuldshemd abgelegt.

Verwirrt wird er von dem Fräulein, das nie lacht (Anna Laudere), Orgeluse (Laura Cazzaniga) verführt ihn gänzlich unerotisch und asexuell mit heftigem Hüftschwung, die Dämonie einer Kundry ist ihr nicht vergönnt. Die drei Ritter in Gold, Silber und Rostrot (Arsen Megrabian, Dario Franconi, Yohan Stegli strotzen vor männlicher Kraft), die Parzival fatal faszinieren, treten beinah auf wie die Soldaten in Neumeiers Interpretation von Mahlers 7. Sinfonie. Auch der Drill der schwarzen Krieger erinnert daran.

So lernt Parzival das Leben kennen wie auch im besinnungslosen, mörderischen Kampf mit Kriegern, die er reihenweise erschlägt. Kaum eine dieser Episoden gewinnt blutvolles Leben, wird wirksam durch die Choreographie. Das von Neumeier wohl gedachte innere Geschehen gelangt nicht über die Bewegung nach außen, ist nicht nachvollziehbar durch die Bühnenaktion, bleibt Behauptung im vorbildlich ausgestatteten Programmheft. Dem hübschen Edvin Revazov verpasst Neumeier eine kaum sich entwickelnde Körpersprache. Revazov wartet mit technischen Unsicherheiten bei einfachen Schrittfolgen auf, wirkt unsicher, ein unbedarfter Gesichtsausdruck begleitet ihn durchs ganze Stück. Einmal durchbricht Neumeier die dünne Folie, als er Parzival in hilfloser Verzweiflung aufstampfen lässt. Undeutlich wie allzu vieles an diesem Abend bleibt, was Gornemans (Sébastian Thill) ihn als bebrillter Intellektueller lehrt außer dem Schweigen. Die drei Frauengestalten bleiben quasi in den undankbar zu tanzenden Bewegungsphrasen stecken. Die Polikarpova darf nichts von ihrem tänzerischen Potential zeigen, muss aber in Spitzenschuhen erscheinen. Viel Platz hat das Ensemble auf der leer geräumten Bühne, die sich hinten von Himmelsbläue zur Nachtschwarz und zurück verwandelt (Lichtkonzept und Kostüme: John Neumeier), während sich ab und an weiße, geometrische Tuchsegmente herabsenken, dann aufsteigen, sich kreuzen. Das wirkt wie nettes Kunstgewerbe. Wie sich kreuzende Sphären drehen sich auf dem Zwischenvorhang Kreise in einem Doppelkegel: Die Harmonie der Welten? Wie immer hat Neumeier die Musik sorgfältig ausgewählt: Werke von John Adams, Arvo Pärt und Wagner. Pärts asketisches Pianostück „Alina“, in dem die Töne wie Inseln auftauchen, widmet Neumeier den Frauen: einmal dem Fräulein, das nie lacht (Anna Laudere, dann im zweiten Teil des Abends Echo), Parzivals drei Frauen Herzeloyde, Orgeluse, Fräulein, die in langen roten Kleidern durch eine Art Tor herein schreiten, die Häupter bedeckt mit einem Spitzhut, was entfernt an Weihnachtsfrauen (statt -männer) denken lässt. Parzifal in Uniform gesellt sich zu ihnen.

Mag John Adams Art der extremen Spreizung zwischen ganz hoch und abgrundtief, der weichen Harmonien, wabernde Klangteppiche, Ostinati und rabiaten Entladungen anfangs einen gewissen Reiz ausüben, so schwindet der, wenn Wagners wundersam instrumentiertes, schwerelos dahin fließendes Vorspiel zu Parsival ertönt. Danach wirken Adams Kompositionen nur noch süßlich, pathetisch hohl und plakativ. Ohne Tadel, ein Ohrenschmaus, ist die musikalische Interpretation: Simone Young, die Chefin des Hauses, kitzelt mit ihrem Orchester aus Adams Werken lustvoll das Äußerste an Kontrasten heraus, bei den zwei Wagner-Einschüben aus Parsival entwickelte sie die ganze Palette der Klangfarben.

 

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