Spartacus II.

DVD: Irek Mukhamedov in Grigorowitschs Bolschoi-Zweitproduktion von Khatschaturians Ballett

oe
Stuttgart, 26/10/2005

Vor Jahresfrist erschien die DVD-Aufbereitung der Grigorowitsch-Bolschoi-Produktion von Khatschaturians „Spartacus“-Ballett in einer Fernsehproduktion von 1977 – in der Originalbesetzung mit Vladimir Vasiliev, Natalia Bessmertnova, Maris Liepa und Nina Timofejewa – 92 Minuten lang, auf VAI/Codae. Jetzt hat Warner Music Vision Grigorowitschs Ballet über den römischen Sklaven-Aufstand 70 v.Chr. in einer Zweitversion mit dem Bolschoi-Ballett aus dem Jahr 1984 herausgebracht, ebenfalls ursprünglich für das Fernsehen aufgenommen – mit Irek Mukhamedov in der Titelrolle (sechs Jahre vor seinem Wechsel zum Royal Ballet) sowie mit der damals 43jährigen Bessmertnowa als Spartacus-Gemahlin Phrygia und Michail Gabovich als Crassus nebst Maria Bylova als Aegina – 127 Minuten lang, auf 0630-19398-2).

Die halbstündige Verlängerung der Spieldauer (die Erstversion mit ihren anderthalb Stunden bietet sogar als Bonus noch das Finale aus dem „Buckligen Pferdchen) kommt dem Ballett nicht unbedingt zugute – es schleppt und schleppt sich hin, die Exerzierreglements (mit den breit gegrätschten Ausfallschritten), die Kampfszenen und die orgiastischen Lustgelage nehmen kein Ende. Dies ist sicher der sowjetischste aller Ballettklassiker (viel mehr so als „Romeo und Julia“ oder sogar „Gajaneh“) – das Kreml-Gegenstück zu den Nürnberger Reichsparteitagen, fehlt nur Leni Riefenstahl als Kamerafrau. Sowjetischer Militärklassizismus in Reinkultur! Es wird marschiert und paradiert, gefochten und gemetzelt, gesiegt, geliebt, gelüstet, gebarmt und getrauert – alles in heroischem Superformat. Und – wie denn auch nicht – fabelhaft getanzt, in den Duos mit sensationell gestemmten einarmigen Transportlifts! Formidabel.

Kaum zu glauben, dass Mukhamedov damals gerade erst 24 war – ein Held aus dem russischen Märchenbuch der Ruslan, Iwan Sussanin und Knjaz Igor, mit tief liegenden, gefährlich funkelnden Augen (in denen schon der schreckliche Iwan wetterleuchtet). Als seine Gattin sorgt Bessmertnowa für matriarchalische Wärme, während Gabovich ein viel weniger gefährlicher Crassus als weiland Liepa ist und Bylova als Erotikerin vom Dienst eine schillernde Nachfolgerin der Plissetzkaja. Das Corps de ballet schmeißt sich mit Wonne auch in die lächerlichsten Arrangements etwa als Satyrn, die aussehen wie männliche Playmate-Häschen, dass man sich wundert, wie erwachsene Künstler sich dazu hergeben können, solchen infantilen Kitsch zu tanzen.

Nein, dieses Ballett ist für die heutige Zeit nicht zu retten, nicht mit der lärmfrohen Schmettermusik von Khatschaturian (dirigiert von Alygis Zhyuraitis) – nicht in der Version von 1968, die Grigorowitschs politkorrekte Bestätigung als Chef des Bolschoi-Balletts brachte – und auch nicht in Zanellas monströser Wiener Inszenierung von 2002. Jetzt wüsste ich freilich gern, wie denn Mukhamedovs eigene Version aussieht, die er vor ein paar Monaten fürs Hong Kong Ballet choreografiert hat, und über die sowohl die Dancing Times wie dance now sehr positiv berichtet haben (in dance now, Autumn 2005, übrigens auch ein Bericht über das Gastspiel von Alicia Amatriain und Friedemann Vogel als Julia und Romeo beim English National Ballet in Derek Deanes Produktion aus dem Jahr 1998).

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