Mit den Beinen gezwinkert

Die Hubbard Street Dance Company im Festspielhaus

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Baden-Baden, 21/10/2005

Baden-Baden als Vorstadt von Chicago – sozusagen! Das Gastspiel der Hubbard Street Dance Company macht's möglich! Drei so gut wie ausverkaufte Vorstellungen im über 1500 Besucher fassenden Festspielhaus: das Management funktioniert wie geschmiert! Und auch die Kunst. Und so sind alle glücklich. Wer hätte das vor zehn Jahren für möglich gehalten! Die Bäderstadt an der Oos als Vorstadt der Metropole am Michigansee? Und das ganz wörtlich. Denn in Baden-Baden tanzten die Chicagoer die europäische Erstaufführung von Marguerite Donlons „Strokes Through the Tail“ fünf Wochen vor der Uraufführung bei sich zu Hause!

Es ist bereits die zweite Kreation der Saarbrücker Ballettchefin (die ja auch schon in Stuttgart zu Gast war) für die Kompanie. Bei der übrigens auch bereits Christian Spuck annonciert ist – nachdem Marco Goecke gerade in Holland sein jüngstes Stück zur Uraufführung gebracht hat. So scheint allmählich der Choreografen-Export aus Deutschland in Gang zu kommen! Unsere Dame aus Saarbrücken scheint eine rechte Scherzboldin zu sein. Denn mit dem Schwanz im Titel ihres Mozart-Balletts für eine Ballerina und fünf Männer spielt sie angeblich auf die Notenbalken in Mozarts handschriftlicher Partitur an. Doch mit den Strokes streicht sie den Männern ihre Machoidentität aus und lässt sie barbrüstig und mit haarigen Beinen in Schwanensee-Tutus auftreten – sehr à la mode – fast wie bei Picasso, der ja auch die Wünsche am Schwanz packt.

Auch sonst geht es durchaus lustig in Donlons Gender-Scharade zu, die von den Boys aus Chicago mit Elan über die Bretter gewirbelt wird. Sie scheinen überhaupt die reinsten Augenzwinker-Tänzer zu sein – bloß dass sie eben mit den Beinen zwinkern. Das tun sie sogleich in ihrem Eröffnungsstück „SF/LB“ (offenbar für Science Fiction/Leonard Bernstein) von Daniel Ezralov, in dem sie über die Bühne prallen, als seien sie alle anstelle der Wirbelsäule mit einer Sprungfeder auf die Welt gekommen. Sie sind wohl so etwas wie die amerikanische Antwort auf das Nederlands Dans Theater, zu dem sie eine enge Beziehung unterhalten – durch ihren Chef Jim Vincent, der lange Tänzer beim NDT war, und der das Ballett „Uniformity“ dem Programm beigesteuert hat, und auch durch Nacho Duato, der das Finale choreografiert hat, „Gnawa“ – Jirí Kylián zur Abwechslung auf Marokkanisch – was ja derzeit ausgesprochen „in“ ist (siehe Sidi Labi Cherkaoui und Akram Khan in ihrer jüngsten Koproduktion).

Wieder ganz anders das „Kiss“-Duo von Susan Marshall – was für die enorme stilistische Bandbreite der Chicagoer spricht, denn die beiden Tänzer, Cheryl Mann (bereits die Ballerina bei Donlon) und Tobin Del Cuore, hängen in den Seilen und praktizieren ihr Kamasutra sozusagen in der Luft. Mal was anderes als die auf Leinwand und in Bronze erstarrten Küssenden von Munch, Rodin, Lehmbruck und Kumpanen! Sie sind durchweg bestens konditionierte Profis, diese Girls und Boys aus Michigan, Botschafter jenes heute allenthalten gepflegten globalen tänzerischen Esperantos. Was wir uns von ihnen bei ihrem nächsten Besuch wünschen, wäre ein Ballett mit dezidiertem Lokal-Flavour – warum nicht über Frankie und Johnny – oder über Al Capone und die Robber und Cops vom Lake Michigan.

 

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