Tänzer im Selbstversuch

Chistoph Winklers „Lazarus Sign“ verebbt in den Sophiensaelen

Berlin, 20/07/2005

Christoph Winkler hat wieder ein Niemandsland entdeckt. Lazarus-Zeichen werden dort ausgesendet. Nur als Stichwortgeber ist damit jener tote Jüngling des Neuen Testaments gemeint, den Jesus als eine seiner Wundertaten erweckte. Denn die moderne Medizin bezeichnet, so lehrt der Programmzettel, mit dem Lazarus-Phänomen die ungesteuerten Bewegungen eines Gehirntoten. Das in Tanz zu fassen, ist Winkler gleich mit acht Darstellern angetreten und garniert diese Problematik mit Blues-Gesängen, weil es darin schließlich auch um Auferstehung geht. Wie reizvoll, zweifelsohne, aber auch riskant sich ein solches Unterfangen anlässt, weiß man nach 90 erbarmungslos strapaziösen Minuten.

Drei übermannshohe Rahmen und ein paar Bänke bilden Alexander Schellows variables Bühnenbild. Zu Regenrauschen und live erzeugtem Blues lagern darin unbewegt die Tänzer. Mit winzigen, willkürlich wirkenden Rucken von Kopf, Schulter, Arm setzen bei Anna-Luise Recke die Lazarus-Zeichen ein. Andere Tänzer folgen. Jeder scheint etwas abzustrahlen, doch kaum jemand empfängt diese Signale, nimmt sie wirklich auf, reagiert, verarbeitet sie. In dieser zuckenden Welt der verqueren Drehungen und Auslenkungen, der reproduzierten Fallrutscher, gefechtsartig heftigen Kurzbegegnungen und kleinen Provokationen werden die Rahmen stetig verschoben und geben neue Raumkonstellationen frei. Das lässt den Zuschauer seinen einsehbaren Teil wie auf einem veränderlichen Monitor erleben. Bisweilen stellen sich Assoziationen von Gefangenschaft, Eingepferchtsein her. Überschreiten die Tänzer ihren Rahmen, mag das gleichsam als Symbol des Übertritts von einer Ebene in die andere stehen. Viel meisterhaft originelle Erfindung wendet Winkler für die schier endlose Folge separater Soli auf, reduziert Bewegung oft aufs kaum noch wahrnehmbare Mindestmaß.

Dass all dies jedoch parallel abläuft, fast keine Kontakte impliziert und deshalb wenig dynamische Steigerungen erfährt, ist das große Manko der ambitionierten Produktion. Lähmende Stimmung liegt über diesem trostlos düsteren Abend in den Sophiensaelen; auch auf der Szene wird viel gesessen, den gerade Aktiven zugeschaut, abgewartet. Einmal können sich zwei Frauen zu Berührungen nicht entscheiden, suchen lange nach der geeigneten Form und finden doch keine Gemeinsamkeit. Dreimal wird ein „Dance of Death“ angekündigt. Den ersten bestreitet Florian Bilbao als Solo, in dem dieser charismatische, raumgreifend energetische Tänzer zeigt, was möglich gewesen wäre, hätte der Choreograf die Interpreten nicht in die Fesseln seines kippligen Konzepts geschlagen. Der dritte „Dance of Death“ ist dann kein Tanz mehr, sondern demonstrativer Sitzstillstand unter dem rauschenden Regen des Anfangs. Damit endet ein Winkler der schwachen Art, der bestenfalls eines präsentiert: potente Tänzer im Selbstversuch, beschäftigt mit sich und viel körperertüchtigendem Leerlauf.


18. sowie 21.-24.7., 21 Uhr, Sophiensaele, Sophienstraße 18, Mitte,
Kartentelefon 283 52 66

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