Ausschweifungen à la Suisse

Eine Novität und drei Reprisen beim Zürcher Ballett

oe
Zürich, 03/09/2005

Auf ein Neues denn also! Und wieder hat Zürich die Nase vorn: die erste Premiere der neuen Spielzeit bei einer unserer Ersten-Liga-Opernballettkompanien. Denn dazu gehört Zürich heute – zumal nach dem Mahler-Hit der letzten Saison. Und wieder startet das Zürcher Ballett noch vor dem Opernbeginn. Und wieder mit einem Programm zu live gespielter Kammermusik. Auch so kann man Kontinuität stiften.

Der übergreifende Titel „Les débauches du rêve“ bezieht sich auf die Heinz-Spoerli-Uraufführung einer Auswahl von Skrjabin-Klavierstücken, gespielt –, nein: magisch evoziert in all ihrer Fin-de-siècle Dekadenz von Alexey Botvinov, Zürichs ukrainischem Hauspianisten. Nicht unbedingt ein Titel für ein deutschsprachiges Publikum. Aber die Zürcher waren schon immer ein bisschen weltoffener – sie sind sozusagen, frei nach Edmund Stoiber, die Bayern unter den Schweizern! „Die Ausschweifungen des Traums“ also oder „Der Traum von Ausschweifungen“. Die geben sich denn doch recht schweizerisch harmlos – trotz der offensichtlichen Goya-Beziehungen vor allem durch die Autodafé-Gestalten mit den überspitzten Ku-Klux-Klan-Hüten und die skurrilen Nachtmahre, die sich aus dem Schnürboden kreiselnd herabsenken (sehr fantasievolle Kostüme und Masken von Claudia Binder).

Der Choreografie fehlt es indessen an Biss und Zuspitzung – der hätte ein Schuss Marie Chouinard oder Itzik Galili gutgetan. So gelangt das Ballett, immer schön anzusehen, nicht über die Vorhöfe der Goyaschen albtraumhaften „Caprichos“ hinaus – trotz der exquisiten tänzerischen Leistungen etwa von Seh Yun Kim, Amilcar Moret Gonzalez, Yen Han und Iker Murillo. Für „Ausschweifungen“ – wir kennen die „Déboucheries“ ja lediglich aus Hofmannsthals „Rosenkavalier“-Libretto – ist das Ballett einfach zu schön und harmonisch geraten.

Eine wirkliche Stringenz weist die Programmfolge des Abends nicht auf. Die Spoerlische Kreation wird eingerahmt von zwei Spoerli-Reprisen: den „Bluelight“-Pas-de-deux (zu Arvo Pärts „Fratres“), von Pilar Nevado und François Petit mit zeichenhafter Gestik in den Raum projiziert, und dem „Angel“-Duo aus „Der Sonne Leuchten ist ihr Kleid“, in dem Ana Carolina Quaresma und Dirk Segers demonstrieren, dass auch die Engel vor sehr menschlichen Anfechtungen nicht gefeit sind.

Und zum Schluss dann also das Mendelssohn-„Oktett“, das Uwe Scholz vor acht Jahren für das Zürcher Ballett geschaffen hat. Eine noble Geste des heutigen Zürcher Ballettchefs gegenüber seinem so tragisch früh verstorbenen Vorgänger. Ein hinreißendes, lebenssprühendes Stück, das gleichsam auf den Notenköpfen der Mendelssohnschen Partitur jettiert und pirouettiert. Von acht Mitgliedern des Zürcher Opernorchesters allerdings so flau und anämisch musiziert, dass kaum ein Funke auf die Tänzer übersprang, die sich der choreografischen Schnittmustervorlagen rechtschaffen entledigten, ohne den stürmischen frühlingshaften Aufbruchsimpetus, der das Werk doch so liebenswert und einzigartig erscheinen lässt.

So addierte sich der Abend zu einem etwas beliebigen Spielzeitauftakt, dem noch eine gewisse Ferienlethargie in den Gliedern zu stecken schien. Da werden also Spoerli und sein Stab noch tüchtige Arbeit zu leisten haben, um die für Ende Oktober angekündigte „Schwanensee“-Premiere auf jenen Hochglanz zu bringen, den wir von einer Zürcher Klassikerproduktion erwarten.

 

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