Untergangsszenario

Juan Carlos Garcias „Landschaft mit Schatten“ in Dessau

Berlin, 04/10/2004

Schwarz und leer erstreckt sich die riesige Bühne bis hin zur Brandmauer. Im tiefen Blau schattenlosen Lichts stehen, liegen Gestalten, ein Mann versprüht Nebel, als wolle er den lähmenden Stillstand jeder Einsicht verbergen. Ein anderer beleuchtet einzelne Szenen, bringt dann die Lampe zum Schwingen, setzt damit das Geschehen in Gang. Eine Stunde lang scheitern in dieser drückenden Stimmung alle Versuche, Beziehungen Bestand, Zärtlichkeit Dauer zu verleihen.

Menschen stürzen sich in Kontakte wie in eine wilde Attacke, um den Partner rasch wieder fallenzulassen. Frauen fliegen ihre Männer an, werden waghalsig gestemmt, in maximaler Beinspreizung umgewirbelt, wie ein verknotetes Paket über den Boden gerutscht. Was schwerer wiegt, die Sehnsucht nach Nähe oder die Heftigkeit ihrer Ablehnung, ist in dieser Schlacht der Geschlechter kaum auszumachen. Bilder der Trostlosigkeit, des Verlassenseins sind es, die mit akrobatischem Furor und artistischer Besessenheit in die Landschaft entäußert werden. Tief verschattete Seelenlandschaften stülpen sich dabei aus, geben dem Stück fulminanten Tanzes seinen Titel. Treibender, bisweilen vom Klavier hingetröpfelter Klang (Joan Saura, Xavier Maristany) heizt die Atmosphäre zusätzlich auf. Im Finale eskaliert die Gereiztheit, standet der Tanz im Selbstlauf sinnentleerter Bravourstückchen, endet der Bewegungstaumel im allgemeinen Zusammenbruch.

Als Seismogramm einer sich totlaufenden Zivilisation hat die „Landschaft mit Schatten“ ihre Qualitäten. Seit 1996 beschäftigt sich der Spanier Juan Carlos Garcia mit dieser Choreografie. Seine zeitgenössische Bewegungssprache ist komprimiert und tempogeladen. Dass die Aussage einer sozialen Paralyse über tanztechnische Veräußerlichung obsiegt, gehört zu den Tugenden des Abends, auch wenn er wenig dramaturgische Steigerung erfährt. Die zwölf Mitstreiter der Gregor Seyffert Compagnie Dessau und Seyffert selbst bestechen durch solide Beherrschung der körperkomplexen Tanzstilistik und präsentieren sich als potentes Team. Ob allerdings das Dessauer Publikum dem Ruf in jene desperate „Landschaft“ bereitwillig folgen wird, darauf darf man gespannt sein.

Premiere: 1.10.04

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