Studentenfutter aus der Spoerli-Confiserie

„Coppélia“ nach bewährtem Basler Rezept

oe
Zürich, 18/12/2004

Toll, diese Fülle von Opernballettpremieren in gerade mal zwei Wochen – Stuttgart, München, Hamburg, Karlsruhe und Zürich – und für die Linken von der tanztheatralischen Opposition noch dazu „Hannelore Kohl“ in Bonn. Doch statt stolz zu sein auf diese Fülle in solcher Qualität und sich ihrer Vielfalt zu erfreuen, will uns eine dogmatische Pythia von der Isar rigoros auf ihren fundamentalistischen Geschmack verpflichten – à la „Le ballet c'est moi!“.

Vierundzwanzig Stunden nach Karlsruhe nun also die Zürcher Zweitvorstellung von Heinz Spoerlis „Coppélia“ – in etwas anderer Besetzung als in der A-Premiere am Abend zuvor. Auch hier ein stoppenvolles Haus und ein begeistertes Publikum. Im Grunde handelte sich‘s um eine Neuauflage der Basler Spoerli-Produktion von 1984 – in neuer Ausstattung von Hans Schavernoch (ein hochgetürmtes Universitätsstädtchen – ein bisschen unpraktisch für die Puppenstube des Coppélius, die eher einem Saal aus dem Völkerkundemuseum gleicht) und Jordi Roig (fesche Studentenuniformen, blasse Kleidchen für deren Sweethearts).

Spoerli transferiert die Geschichte von der „Fille aux yeux d‘émail“ in ein historisch im Vagen belassenes College-Milieu am Ende des Semesters, mit feierlicher Diplomüberreichungszeremonie und turbulentem Uni-Ball. So weit, so gut – mit vielen szenischen Extras. Das erlaubt, Coppélius als einen schrullig-schusseligen Professor der Puppenwissenschaft zu charakterisieren und Franz als seinen Adlatus, den die Puppen mehr interessieren als die bis über beide Ohren in ihn verliebte Antonia/Swanilda. Und so gibt es auch kein Happy-End, sondern Coppélius und sein Assistent Franz beginnen damit, die zerbrochene Puppe neu zusammenzusetzen. Das ist alles OK. Aber da gibt es doch zu viele szenische Durchhänger.

Wie gleich anfangs die Bücherwurm-Existenz von Franz. Muss ja eine ungewöhnlich spannende Geschichte sein, die er da liest, und von der er nicht ablassen will. Dann die Kasperliade, die der betrunkene Student aufführt – dafür hat sich Spoerli wirklich eine Menge lustiger Gags einfallen lassen, aber François Petit gibt seinem Affen denn doch reichlich viel Zucker. Dann die endlose Besäufnis-Szene im zweiten Akt, wo mindestens ein halbes Dutzend Mal nachgeschenkt wird. Nein, der Dramaturgie fehlt die nötige Stringenz (so, dass man sich wünscht, Spoerli hätte sich vom Karlsruher „Giselle“-Einstudierer Rat geholt). Was in Karlsruhe völlig natürlich wirkt, wirkt in Zürich doch arg aufgesetzt und gespreizt.

Dabei kann sich die Choreografie durchaus sehen lassen, geizt nicht mit Einfällen und gibt sich, animiert vom Dirigenten Patrick Fournellier und dem Orchester der Oper Zürich, hochmusikalisch. Wieder – wie neulich bei „Sylvia“ in Düsseldorf – bewunderte man die feinsinnige Grazie der Instrumentation von Delibes. Die kleinen Ensembles, besonders die für die drei pfiffigen Kommilitonen, haben Witz und Esprit, die großen Corps-Tänze entwickeln einen geradezu soghaften Drive. Als Antonia/Swanilda ist Kusha Alexi ein ausgesprochener Gewinn für die Zürcher Truppe – eine Ballerina vom Kopf bis zur Sohle, voll Distinktion und Allüre, und mit eigener Diva-Ausstrahlung. Sie ist absolutes Extra-Format (und noch dazu Made in Switzerland).

Ihr aus München mitgebrachter Partner Amilcar Moret Gonzalez tut sich als Bücherwurm und Tiefschläfer ziemlich schwer, ihm liegen wohl mehr die dämonischen und schurkischen Rollen. Ein Danseur noble ist er nicht, lädt aber seine solistischen Einlagen mit kraftstrotzender Energie auf. Oto Ris ist der liebenswert verschusselte Coppélius, François Petit, wie gesagt, der kurz vor der Alkoholvergiftung stehende Absinthiker. Ich hätte Spoerlis im Ansatz so intelligenter Neuedition des sattsam bekannten Librettos eine dramaturgisch versierte Begleitung gewünscht (Angela Dauber?). Und warum nicht mal eine moderne Version versuchen – mit Coppélius als Ordinarius für Robotologie – mit einem Labor aus lauter Robotern und Franz als Videofreak, der nicht mehr unterscheiden kann zwischen virtueller und organischer Realität!

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