Heinz Spoerlis Bach-Marathon

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Zürich, 22/06/2004

Zum Abschluss der Spielzeit des Zürcher Balletts präsentierte Heinz Spoerli seine beiden Bach-Ballette zu den Suiten für Violoncello solo, gebündelt zu einer Vorstellung von dreieinhalb Stunden Dauer – eine Tour de force für alle Beteiligten, auch das Publikum. Vor der allzu ausgedehnten Pause das 2003 entstandene „In den Winden im Nichts“, danach dann das vier Jahre zuvor kreierte „… und mied den Wind“. Zwei Vorstellungen zum Preis von einer! Ein Mammut-Unternehmen – nicht zuletzt für den Cellisten, eingangs den soliden, aber doch eher exerzitienhaften Zürcher Claudio Herrmann, gefolgt von dem viel freieren und gelösteren, geradezu tänzerisch beschwingten Jens-Peter Maintz aus Berlin. Ein gut besuchtes Haus in dieser vom Fernsehen mit nachahmenswerter Diskretion aufgezeichneten Vorstellung.

Die Tänzer an diesem langen Abend trotz des herbeigesehnten Saisonendes unermüdet und unermüdlich, fabelhaft synchronisiert und linienbewusst, worauf es in dieser so ausgesprochen geometrisch konzipierten choreografischen Architektur ja besonders ankommt. Spoerlis „Kunst der Choreografie“ sozusagen – ganz Bach-nahe, ohne das Notenbild illustrativ abzubilden. Der Tanz als ebenbürtiger Partner der Musik! Die Umkehr der originalen Entstehungsfolge macht Sinn – nicht zuletzt durch das Bühnenbild von Sergio Cavero: der Kreis als vollkommenste Form der Unendlichkeit, des In-eins-Fließens von Anfang und Ende – zuerst im Hintergrund hängend, dann wie eine Krone über den Köpfen der Tänzer schwebend und am Schluss dann abgesenkt und als Feuerkreis die Tanzfläche als eigenen Raum umrahmend: ein magischer Ort, an atavistische Feuerrituale erinnernd, von einem Fackelträger (wie bei den Olympischen Spielen) entzündet.

Die Assoziationen zu Wagners „Ring“ sind unabweisbar, hier nun Wotans Appell auf den Tanz umgemünzt: „Wer dieser Gluten Flammen fürchtet, durchtanze das Feuer nie!“ Es sind ungeheuer bildkräftige Tänze, sehr viele Pas de deux und Pas de trois, kaum Soli, aber auch höchst beeindruckende Gruppenformationen, die Spoerli in schier unendlichem Fluss, dabei erstaunlich kontrastreich erfunden hat. Am verblüffendsten vielleicht das große Mädchenensemble der völlig durcheinander gewirbelten, scheinbar unkoordinierten Tänzerinnen als chaotischer Kontrapunkt zu der sonst so rigide vorherrschenden Ordnung und Linienstrenge. Sehr erinnerungspräsent aber auch das Neun-Männer-Ensemble zur Courante (Nr. 4, Es-Dur), die immer wieder in Posen erstarren und mich an antike Friesskulpturen denken ließen, die hier aber überhaupt nichts Antikes suggerieren, sondern eher modernen Sportlern gleichen: Abbild eines durchaus heutigen Schönheitsideals – Bach ins 21. Jahrhundert projiziert!

Und so repräsentiert das Ganze nichts als reinen Tanz – auf der Grundlage der Danse d‘école, angereichert durch die Bewegungsvielfalt, derer sich die Menschen heute bedienen, kodifiziert und spontan (unübersehbar die zahlreichen Einflüsse des Sports, der unsere Bewegungsmechanismen prägt). Ehre, wem Ehre gebührt: Bach und dem Zürcher Ballett mitsamt seinem Leiter!

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