Die verborgene Identität

In Letters from Tentland lässt Helena Waldmann sieben Performerinnen aus Teheran mittels tanzender Zelte ihr Leben Revue passieren

München, 09/11/2004

Mikroskopisch betrachtet sieht Zeltstoff aus wie ein Netz aus Gitterstäben. Im Iran bezeichnet das Wort Zelt auch den weiblichen Ganzkörperschleier – den Tschador. Die Freiheit zu singen oder zu tanzen findet nur im Verborgenen statt, hinter den Mauern im Privaten oder eben in Zelten, wie man sie überall in Teheran findet: entlang der Straßen, in Parks, an den Stränden... Mobile Unterschlüpfe vor allem für Frauen, denen es verboten ist, sich einfach so im Freien zu zeigen. Mit einem Produktionsstipendium des Goethe-Instituts in der Tasche ist die in Berlin lebende Regisseurin Helena Waldmann in die Hauptstadt des Iran gereist, um dort, wo Tanzen im öffentlichen Raum „rhythmische Bewegung“ genannt wird, ein Stück mit professionellen Tänzerinnen und Schauspielerinnen zu erarbeiten. Nach fünf Wochen Proben in der Heimat bot DANCE dem Team zwei weitere Wochen für progressive Atelierarbeit und den kommunikativen Gedankenaustausch der Künstlerinnen mit interessierten Festivalbesuchern (Teheran-Lounge im i-camp am 31. Oktober). Die fertige Produktion soll, wenn die Zensurbehörde keine Einwände anmeldet, im Januar/Februar des nächsten Jahres beim Theaterfestival in Teheran als Projekt des Dramatic Arts Center uraufgeführt werden. Dabei gerieten schon die zwei Vorraufführungen im Theater im Haus der Kunst zur Sensation.

„Ich habe Ihnen einige Fundstücke von meiner Reise nach Teheran mitgebracht“ begrüßt Helena Waldmann ihr Publikum und zaubert eine Zeltstadt auf die Bühne, wie man sie noch nicht gesehen hat: Pulsierend vom Leben der sieben Frauen, die in den biegsamen Zelten wie in einer zweiten Haut stecken. Nichts, was sie nicht machen könnten, verpackt in diese zweite Hülle. Wippen, kreiseln, purzeln, sich gegenseitig verschlingen, zusammenfallen oder aufblühen wie Schmetterlinge – nur herauskommen, das tun sie nie. Ihr Fenster zur Außenwelt ist zum einen ein durchsichtiges Sichtquadrat und zum anderen ihre Stimme, die laut aus dem weichen Gefängnis dringt. Wer die Frauen näher kennen lernen möchte, der muss zu ihnen durch den Reißverschluss-Schlitz ins Innere kriechen; womit das von Videobildern (Anna Saup und Farshid Behzad), Schriftprojektionen und arabischer Klangkulisse (Komposition: Hamid Saeidi und Reza Mojhadas) unterstützte Zelttheater auch endet. Mit einem Teeempfang der Iranerinnen auf der zum Riesenzelt mutierten Bühne klingt die Performance aus – abgeschirmt von den Blicken der Männer, die hier nun einmal das Nachsehen haben: Gerade diese Facetten der Ausgrenzung machen den humorvoll-analytischen Theaterblick in eine fremde Kulturwelt möglich.

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