AIDS-Tanz-Gala 2004

Theater Hagen

Hagen, 07/12/2004

Theaterleute ziehen oft um, wenige aber wohl so häufig wie Ricardo Fernando, Ballettmeister und Tänzer, immer begleitet von seiner Frau, der Solotänzerin Carla Silva. 1994 startete der Brasilianer in Bremerhaven als Ballettchef, führte 1998/99 gleichzeitig die Tanzensembles in Bremerhaven und Chemnitz, wechselte nach Pforzheim, hüpfte danach gen Regensburg und landete schließlich in Hagen, wo er seit Januar 2004 die 14 Tänzer/innen zu neuen Höhenflügen führen soll. Einen Höhepunkt setzte er jetzt mit einer AIDS-Tanz-Gala vor ausverkauftem Haus mit Gästen aus Karlsruhe, Amsterdam, Nizza, Dortmund, Regensburg, Essen und Hannover. Der Erlös kommt der örtlichen AIDS-Hilfe zu Gute.

Nun ist eine Benefiz-Gala eine Benefiz-Gala, sprich kein dramaturgisch zusammenhängendes Gebilde, sondern sie soll eine Abfolge von „Schmankerln“ sein – zur Freude und Unterhaltung der Zuschauer, die auch mal über den Tellerrand ihres Theaters sehen können. Natürlich war auch das hauseigene Ensemble wesentlich am umjubelten Abend beteiligt, unter anderem mit neun Choreographien von Fernando. Deren sehr unterschiedliches Niveau reichte vom belanglosen „Fuga e Misterioso“, Musik von Piazolla, über ein gänzlich unerotisches Carmen Pas de deux (Carla Silva und Juan Sanchez), einen arg klamottigen „Gold und Silber“ Walzer bis zum überraschend unsentimentalen, klar gestalteten Adagio (Barber), in dem der Regensburger Tänzer Sebastiano Bonivento als drittes Standbein von Carla Silva fungierte. Die Ensemblemitglieder Wen-Ting Huang, Andrea Bily, Jeremy Green/Andrea Casati, Josef Csaba Hajzer steuerten eigene Choreographieversuche bei. Stephan Thoss schickte aus Hannover „Auf Suche“ (Musik: Bach), in dem er sich für ihn gänzlich untypische ruhige Zonen gestattet, Harmonie und Konflikt eines Paares - Katharina Wunderlich und Boris Daake – sensibel gestaltet. Michel Descombeys „La Mort du Cygne“ verkörperte der sehr flexible Julio Arozarena (Nizza) mit Gummiarmen. Den choreographischen Höhepunkt setzte Jean Christophe Maillot mit dem Pas de deux aus „Romeo und Julia“, der Balkonszene (Nizza). Leidenschaft, Scheu und Poesie entwickelt Maillot mit großem Atem aus immer neuen Aufschwüngen. Taciana Cascelli, technisch perfekt, zeigte alle Facetten eines Mädchen, das in der Liebe zur Frau wird, Marat Ourtaev widmete sich seinem Part mit jugendlichem Ungestüm. Den technischen Höhepunkt markierten die blutjungen Paloma Souza und Diego de Paula aus Karlsruhe im „Don Quixote“ Pas de deux. Er glänzte mit schönen Sprüngen und hoher Arabesque, sie drehte ihre Fouettés wie ein Brummkreisel – beide agierten gänzlich ohne Esprit, Koketterie oder gar Feuer.

Ihre Chefin Birgit Keil war persönlich anwesend, sprach einige sehr eindringliche Worte über die Wichtigkeit der Aids-Vorsorge. Mitgebracht hatte sie außerdem Anais Chalendard, die sich nach anfänglicher Unsicherheit zur subtilen, fraulichen Darstellung steigerte, sie vermittelte eine Ahnung der Erotik der „Gefährlichen Liebschaften“ (barocker Musikmischmasch), kreiert von Jörg Mannes. Flavio Salamanca stand ihr zur Seite.

Im Ausschnitt der „Carmen“ von Peter Breuer zeigten Monica Fotescu Uta und Ivica Novakovic (Dortmund) muskulöse Erotik. Der kahlköpfige Novakovic wirkte wie ein „Wunderbarer Mandarin“, der eher Carmen beherrscht als umgekehrt. Den Kitschgipfel, allerdings exquisit getanzt, erreichte Wayne Eaglings geradezu unsäglicher Pas de deux „Duet“ zu Isoldes Liebestod. Da war nichts zu retten, vergeblich warfen Larissa Lezhina und Tamas Nagy (Het Nationale Ballet Amsterdam) ihr großes Können in die Wagschale. Im nächsten Jahr soll die zweite Gala steigen – falls Ricardo Fernando dann noch nicht zu neuen Ufern geeilt ist.

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