Yvonne Georgi zum hundertsten Geburtstag

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Stuttgart, 29/10/2003

Ist Hannover eine Ballettstadt? Sie war es jedenfalls zweimal: von 1926 bis 1931 und von 1954 bis 1973 – und ein bisschen auch zwischendurch von 1932 bis 1936. Das waren die Jahre als Yvonne Georgi in der niedersächsischen Kapitale als Ballettchefin wirkte (von 1932 bis 1936, als sie nach Holland geheiratet hatte, allerdings nur mit einem Halbjahresvertrag). Am 29. Oktober 1903, heute vor hundert Jahren, in Leipzig geboren und aufgewachsen, war sie via Hellerau und Jaques-Dalcroze schon sehr früh zu Mary Wigman gekommen, tanzte in deren Gruppe mit und gab bereits 1923 ihren ersten Soloabend. 1925 ging sie als Ballettmeisterin nach Gera und im Jahr darauf nach Hannover, wo sie für ihren ersten Ballettabend Harald Kreutzberg als Gast engagierte, mit dem sie dann ausgedehnte Tourneen unternommen hat (allein dreimal quer durch Amerika).

Zu den Pionierinnen des Ausdruckstanzes gehörig, erkannte sie schon früh die Notwendigkeit eines gründlichen klassisch-akademischen Trainings für die Theaterballettarbeit und holte sich das entsprechende technische Rüstzeug bei Victor Gsovsky. Sowohl als Solotänzerin wie als Choreografin und Ballettmeisterin (damals gab es ja noch keine Ballettdirektoren) zog sie schon bald überlokale Aufmerksamkeit auf sich, nicht zuletzt durch ihren engagierten Einsatz für zeitgenössische Komponisten wie Strawinsky, Hindemith, Milhaud, Wellesz und Rieti.

Das holländische Intermezzo beförderte zweifellos die Konsolidierung ihres neoklassizistischen Stils. Leicht waren diese Jahre nicht – mit immer wieder neu formierten und aufgelösten Kompanien als Anhängsel der diversen Opern-Stagioni. Heute sehen wir darin die Vorläufer des holländischen Nationalballetts. Dass sie dort auch während der deutschen Besatzung weiterarbeitete und mit ihren Tänzern – für die die seltenen Auftrittsmöglichkeiten eine Überlebensfrage waren – auch in Deutschland gastierte, hat ihr dann nach dem Krieg den Vorwurf der Kollaboration mit den Nazis eingebracht.

1950 drehte sie in Paris mit dem Regisseur Ludwig Berger zusammen einen der ersten Ballettfilme: „Ballerina“ mit der gerade sechzehnjährigen Violette Verdy (Beginn einer lebenslangen Freundschaft – wie sie denn überhaupt immer wieder neue dauerhafte Freundschaften stiftete, zum Beispiel mit dem Bildhauer Mataré, mit Erich Walter, dem Schriftsteller Peter Bamm, mit Gottfried von Einem und zahlreichen französischen Malern und Intellektuellen). Dann ging sie nach Deutschland zurück und war kurz Ballettmeisterin der „Abraxas“-Tourneekompanie. Von 1951 bis 1954 wirkte sie als Ballettchefin in Düsseldorf, wo sie unter anderem 1953 Strawinskys „Sacre du printemps“ choreografierte (lange vor der Fülle der mit Béjart einsetzenden „Sacre“-Produktionen). Dann folgten die Jahre ihrer Glanzzeit in Hannover, während deren ihre Ballettpremieren, zuerst noch im Ballhof, dann im wiedererstandenen Opernhaus, zu den Top-Ereignissen der deutschen Ballettspielzeit gehörten, mit zahlreichen Ur- und deutschen Erstaufführungen, darunter auch die ersten Ballette zu elektronischer Musik und eine der ersten Einstudierungen von Strawinskys „Agon“ bald nach der Balanchine-Premiere.

Hier wurde sie Professorin an der Tanzabteilung der an der Hochschule für Musik, von hier aus unternahm sie mit ihrer Kompanie zahlreiche Gastspiele in halb Europa und gastierte als Choreografin an vielen Bühnen, auch bei den Bayreuther und Salzburger Festspielen bis zum Teatro Colon in Buenos, wo sie als eine ihrer letzten Kreationen Orffs komplette „Trionfi“ zur Aufführung brachte. Hier baute sie mit ihrem Gatten zusammen ihr tolles Haus am Ringelnatzweg in Herrenhausen, in dem alles verkehrte, was im Ballett einen Namen hatte. Und hier ist dann Anfang 1975 gestorben.

Und heute? Erinnert sich anlässlich ihres hundertsten Geburtstags in Hannover offenbar kaum noch jemand an sie. Dabei hätte doch Stephan Thoss eine so tolle Gelegenheit gehabt, in einer Matinee auf die Kontinuität hinzuweisen, als Produkt der Dresdner Palucca-Schule, denn zusammen mit Palucca hatte Georgi ihre ersten Solotanzabende gegeben. Aber so ist das nun einmal bei uns in Deutschland! Kein Instinkt für historische Zusammenhänge! Stattdessen tilgt Hannover dreißig Jahre nach ihrem Tod auch noch die letzten Spuren ihres Wirkens und schließt die Tanzabteilung an der Staatlichen Hochschule für Musik.

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