Fantastische Lucia Lacarra

Im „Schwanensee“ der Opernfestspiele

München, 12/07/2003

Nach Unstimmigkeiten hatte man zu Beginn des Jahres um ihr Bleiben beim Bayerischen Staatsballett zittern müssen. Aber als Lucia Lacarra, die mit dem Nijinsky-Award und dem Prix Benois de la Danse am höchsten ausgezeichnete Tänzerin dieser Spielzeit, an der Seite von Cyril Pierre ihren zweiten „Schwanensee“ im Nationaltheater tanzte, stand diese Vorstellung offensichtlich unter einem guten Stern.

Von der ersten Hebung Lacarras im Prolog, den Ray Barra seiner Version (1995) vorangestellt hat, und vom Auftrittssprung Alen Bottainis an, der Benno tanzte, waren auch die Zuschauer hellwach. Cyril Pierre fand als Siegfried schnell in seine Rolle, aber nur langsam zu tänzerischer Sicherheit. Dann aber war er nicht nur ein perfekter Partner Lacarras, sondern überzeugte auch in seinen Variationen mit hohen, sauber kontrollierten Sprüngen und gut ausbalancierter Drehfreudigkeit. Die Verlobte war mit Sherelle Charge exzellent besetzt, denn ihr Tanz schlug im Vergleich zu dem der Traumfrau keine Funken, aber sie traf die Balance zwischen liebender, hoffnungsvoller Zuwendung und ängstlicher Irritation schön und dezent.

Im Duett mit Cyril Pierre am Anfang der zweiten Szene rief Norbert Grafs Darstellung des Rotbart, der Siegfried in seine Zaubergewalt bannt, auch das Interesse an der psychologisierend modernisierten Handlung wach. Die packende Ausdruckskraft Lacarras verstärkte das, als sie mit atemberaubend schöner Linie, vollendeter äußerer und innerer Spannung sowie lebhafter Phrasierung alle Erwartungen erfüllte, die man an die weltbesten Schwanenprinzessinnen haben kann. Dabei nutzte sie mit ihrer außerordentlichen Biegsamkeit die musikalisch vorgegebenen Ausdrucksräume mit perfektem Timing bis zum Äußersten. Als sie ihre zweite Variation nicht ganz so zwingend tanzte, gewann man den Eindruck, dass sie viel von ihrem Überschuss an Brillanz und Ausdruck aus dem Kontakt mit Cyril Pierre zieht.

Im Auftakt zum Schwarzen-Schwanen-Akt entfaltete Sherelle Charge erneut ihre repräsentativen Qualitäten, tanzten die Spanier (Irina Dimova/Udo Kersten und Silvia Confalonieri/Peter Leung) temperamentvoll, die Russen (Valentina Divina und Guan Deng) voller Glut und die Italiener (Alen Bottaini und Laure Bridel-Picq) witzig mit zündendem Speed. Lacarra spielte Odile dämonisch, selbstsicher und, mit extrem extendierten Posen, maliziös verführerisch. Zwischen all den scharf akzentuierten Bewegungen führte sie beispielsweise intelligent vor, wie Odile in einer weichen Bewegungspassage den Weißen Schwan nachäfft und den Prinzen damit um so sicherer in den Irrtum stürzt, sie sei Odette. Damit stand dem Triumph nichts mehr im Weg. Lacarras Legato-Linie faszinierte durchgängig und gewann im Zusammenspiel mit dem hochmotivierten, stilistisch harmonischen Ensemble und der Darstellungskunst von Cyril Pierre und Norbert Graf dem Schlussakt eine in dieser Intensität nicht erwartete Dramatik.

Das Bayerische Staatsballett hat mit Lacarra eine Ausnahme-Künstlerin in seinen Reihen, die ihre Qualitäten in der zweiten Hälfte der Spielzeit auch in „Porträt John Neumeier“ und in „Artifact II“ von William Forsythe eindrucksvoll bewiesen hat. Man kann nur hoffen, dass ihr trotz weltweiter Gastspiele die Ensemble-Arbeit wichtig wird. Denn dann können sich die Münchner auf Vorstellungen freuen, die schon allein wegen Lacarra das Hingehen lohnen.

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