Ben van Cauwenbergh mit „La Vie en rose“

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Wiesbaden, 11/03/2003

Nach langer (eindeutig allzu langer) Zeit wieder einmal in Wiesbaden. Das Haus nach wie vor einladend in seiner strahlenden kaiserlichen Majestät – durchflutet von einem Gefühl der Wellness. Das Publikum erwartungsvoll gestimmt, geizt nicht mit Zwischenbeifall, summt, singt, klatscht stellenweise mit, applaudiert am Schluss begeistert und verlässt das Haus in bester Laune mit der Frage: wann gibt‘s die nächste Ballettvorstellung?

Ben Cauwenbergh, seit 1992 Ballettchef am Hessischen Staatstheater, lässt keinen Zweifel: er macht Ballett fürs Publikum, ohne sich im mindesten dabei etwas zu vergeben. Ballett – nicht Tanztheater. Klassisches Ballett, unverzopft, lebendig, mit hoch motivierten, bestens trainierten Tänzern (die alle, ausnahmslos, fabelhaft drehen können: die Wiesbadener Rotationsschule). Mit seinen engsten Mitarbeitern, seinem Bruder Tom und dem unverwüstlichen Gabriel Sala als „Man for all Jobs“, hat er seine 25-Tänzer-Kompanie auf Hochglanz poliert. Ein Mittelgewicht unter den deutschen Opernballetten, tanzen sie mit ausgepichtem Profi-Finish, von ihrem Chef, der ein ausgesprochener Theatermann ist, so clever eingesetzt, dass man meint, ihm stünden doppelt so viele Tänzer zur Verfügung.

Auf dem Programm der Zweiteiler: „La Vie en rose – Soirée française“, ein tänzerischer Bilderbogen um und mit Chansons von Maurice Chevalier, Edith Piaf, Gilbert Bécaud und Jacques Brel. Choreografie, Inszenierung und Kostüme: Ben van Cauwenbergh, Bühnenbild Thomas Märker, am Klavier und Keyboard Waldemar Martynel – im Mittelpunkt: Zygmunt Apostol, ein Clochard mit Akkordeon, eigentlich ein alt und weise gewordener Bip (aus der Béjart-Familie), der seine Erinnerungen hervorkramt an die großen Chansonniers seiner Vergangenheit – die Vergangenheit vor dem legendären Sommer von ´68, leicht nostalgisch timbriert, aber kein bisschen wehleidig, sentiment-gesättigt, aber überhaupt nicht sentimental, voll Melancholie, aber nicht ohne eine Prise Selbstironie, serviert mit augenzwinkerndem Pariser O-la-la-Charme. Wie denn auch anderes, da er von so viel knackfrischer Jugend umgeben ist: Adeline Pastor, unter den Rotationsvirtuosen und -virtuosinnen zweifellos die Top-Spinnerin, von Ariel Rodriguez als Apollo, Dieu de la Danse, von Dimitrij Simkin als Ganove aus dem Quartier Latin, von Isabelle Moirt als hochgewachsener Belle direkt vom Laufsteg des Karl Lagerfeld, von Angelika Topp als ihrer Rivalin aus dem Salon von Yves Saint-Laurant und so fort ... Es macht Spaß, ihnen zuzusehen, wie sie da so temperamentvoll gewieft über die Bühne tollen – eine Truppe aus lauter Sympathiewerbern.

In der Pause Gespräche über den enormen Arbeitsstress (an die hundert Vorstellungen pro Spielzeit), den drückenden Sparsamkeitszwang, einen wenig kommunikationsfreudigen neuen Intendanten und die bevorstehende „Dornröschen“-Produktion. Zwischendurch schweifen die Gedanken ab –an frühere Wiesbaden-Besuche während der erinnerungsverklärten Imre-Keres-Ära mit einer der besten „Coppélia“-Produktionen aller Zeiten (mit Birgit Keil und Heinz Clauss als Gästen), mit dem blutjungen Falco Kapuste in Skibines „Les Noces“, an Clara Gora, die Wiesbadener Prima und Sala, den Wiesbadener Primo – und nicht zuletzt an den unvergessenen Rainer Antoine (später in Münster und zum Schluss in Ludwigshafen), den engagiertesten aller Importeure russischer Tänzer und Ballett- (und Opern-)Kompanien.

Mein nächster Wiesbaden-Abstecher wird jedenfalls unter Garantie nicht wieder so lange auf sich warten lassen!

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