Saisonschluss mit den „Goldberg-Variationen“

oe
Zürich, 30/06/2002

Nach Zürich der Oper wegen (in keinem anderen Opernhaus habe ich während der zu Ende gehenden Saison so viele Opern- und Ballettvorstellungen besucht). Das hindert mich indessen nicht daran, eine Ballettmatinee mitzunehmen. Ausgerechnet zur Zeit des Fußballweltmeisterschafts-Endspiels. Gleichwohl ein volles Haus, nicht ganz ausverkauft, für Spoerlis auch hier bereits sattsam bekannte „Goldberg-Variationen“. Große Publikumsbegeisterung mit viel (störendem) Zwischenbeifall. Die Kompanie ist gerade von ihrem Japan-Gastspiel zurück: elf Vorstellungen mit über 30000 Besuchern in Osaka und Tokio – auf dem Programm: Spoerlis „Romeo und Julia“ und seine „Goldberg-Variationen“, die demnächst ihren zehnten Geburtstag feiern können (wie viele Ballette vom gleichen Jahrgang 1993 haben wohl das Dezennium überlebt?).

Die Kompanie an diesem Sonntagnachmittag in Topform – auch nicht die leiseste Spur von Müdigkeit, obgleich dies die letzte Vorstellung vor den morgen beginnenden Ferien ist. Dies ist vielleicht die eigenste Kennmarke des heutigen Zürcher Balletts: die Lust, mit der die Tänzer bei der Sache sind – ihre strahlende, jugendliche Tanzlust. Und die überträgt sich unweigerlich auf das Publikum. Da wird man sich wieder einmal bewusst, wie verkrampft andernorts so oft getanzt wird.

Ins Zürcher Ballett geht man – nicht des choreografischen Raffinements wegen (der Standard ist hier eher gediegene handwerkliche, immer ausgesprochen musikalische Qualität ), auch nicht um Zeuge zu sein, wie sich ein Tanztheaterautor intellektuell verhebt und an seinen Selbstkasteiungsritualen teilzuhaben – nein, ins Zürcher Ballett geht man aus Freude am Tanz. Und das umso lieber, wenn man, wie in den „Goldberg-Variationen“ mit einer solchen Fülle von meisterhaft gearbeiteten choreografischen Pretiosen konfrontiert wird: dargeboten von so unterschiedlichen Tänzerpersönlichkeiten, die gleichwohl alle an einem Strange ziehen. Wobei ich mir freilich wünschte, dass die Kompanie über eine legitime Primaballerina und einen entsprechenden Danseur étoile verfügte, denn die kann ich weder in Lara Radda und Dirk Segers noch in Yen Han und Stanislav Jermakov erkennen (und auch nicht in Karine Seneca und Jozef Varga).

Spoerlis beste Tänzer sind François Petit und Nicolas Blanc, die reinsten Sprungteufel, die beide etwas Koboldhaftes an sich haben und sozusagen mit den Füssen zwinkern. Spoerli sollte ein Ballett für sie choreografieren, in dem sie beide als Zwillinge auftreten. Wie wär‘s denn mit den „Zwillingen von Ephesos“ des Plautus (alias Shakespeares „Komödie der Irrungen“)?

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