„La Bayadère“, Choreografie und Inszenierung: Natalia Makarova nach Petipa

Hamburg, 08/12/2002

In knapp fünf Minuten zeigt Arsen Megrabian bei seinem einzigen Auftritt als Bronze-Idol die fast makellose Kunst des klassischen Balletts: Hohe, weite, gut gestandene Sprünge, Spannung auch in den Übergängen, saubere Abschlüsse – und die Bühnenpräsenz einer imperialen Gottheit. Keiner kommt ihm gleich bei der Hamburger Premiere des Balletts „La Bayadère“, einstudiert von Natalia Makarova, Spross des Kirow-Balletts (Leningrad/St.Petersburg). Im Jahre 1877 brachte Marius Petipa (1818-1910) in St.Petersburg das exotische Sujet, Schauplatz ist ein märchenhaftes Indien, mit der eher wienerisch klingenden Musik von Ludwig Minkus heraus.

Verstaubtes Relikt aus der Mottenkiste des imperialen Balletts oder überlebensfähiges Erbe der Tanzgeschichte, noch heute erfahrbar als historisches Fundament auch gegenwärtiger Entwicklungen? Wohl Ersteres, denn Makarova unternimmt erst gar nicht den Versuch, die Handlung zu straffen, die sich in vielen, vielen Divertissements ohne dramaturgische Funktion verliert, oder die penetrante, langatmige Pantomime in Tanz aufzulösen, wie es John Neumeier in seinen Klassikerproduktionen demonstriert. Sie verlässt sich auf die puren, blanken Formen des klassischen Balletts, deren Ausdrucksvermögen sehr begrenzt ist, und produziert damit gepflegte Langeweile. Zudem verfügen die Hamburger Solisten an diesem Abend weder über die unabdingbar sichere Technik, noch besitzen sie die magnetische Persönlichkeit, mit der sie ihr technisches Manko vergessen machen könnten. Da wird mehr gekämpft als getanzt. Ausnahme: Arsen Megrabian, er wird in einer der folgenden Vorstellungen den Solor tanzen.

Die verzwickte Handlung in Kürze: Der Krieger Solor (Jiri Bubenicek) liebt die Bajadere (Heather Jurgensen), eine Tempeltänzerin, die deshalb das Werben des Hohen Brahmanen (Ivan Urban) abweist. Dazu gesellt sich Gamsatti (Anna Polikarpova), Tochter des Radschas. Sie will Solor für sich gewinnen. Aus dem Zwiespalt entwickeln sich der Mord an Nikija und die Zerstörung des Tempels, der alle unter sich begräbt. Die Apotheose zeigt Nikija und Solor im Reich der Schatten miteinander vereint.

Die schöne Heather Jurgensen steigert sich nach anfänglicher Nervosität zu einer annehmbaren, wenn auch nicht souveränen Leistung. Anrührend ihr Trauertanz im dritten Bild. Bubenicek schreitet edel ungerührt durch das Geschehen, vom Krieger keine Spur, von Leidenschaft noch weniger. Die wenig erotisch wirkende Anna Polikarpova ist vollends vom Lampenfieber gepackt. Ihr missglücken selbst einfache Drehungen, sie strahlt nur Unsicherheit aus. Vielleicht ist es der große Respekt vor Natalia Makarova, die vor 20, 30 Jahren als die Giselle und Odette/Odile galt.

Dagegen schlug sich die Gruppe sehr respektabel im teuflisch schweren Schattenakt, der Opium-Wahnvorstellung des Solor vom jenseitigen Reich der Nikija. Jede einzelne der weiß gekleideten 24 Tänzerinnen zelebriert nach jeweils drei Zwischenschritten eine schier endlos wiederholte Arabesque penchée, das weibliche Individuum hebt sich auf, ihre austauschbaren Körper werden zum Bild. Die Frauen erscheinen eine nach der anderen über eine Schräge auf der Bühne, die sich so allmählich füllt. Indes stören das Geklacker der Spitzenschuhe, der jeweils abrupte Stillstand vor dem Anheben des Spielbeins und das zu schnelle Tempo den Zauber. Die Musik lehnt sich an Adolphe Adams Komposition zum zweiten Akt der „Giselle“. Dirigent André Presser vermeidet allgemein die naheliegenden, knalligen Effekte, führt das Orchester zu weicher Tongebung.

Stimmung kommt in die Bude, wenn die Fakire mit Carsten Jung (als Haupt-Fakir Magdaveya sehr spielfreudig) ihrem Affen Zucker geben. Sie toben in einer Art Offenbachiade über die Bühne. Niurka Moredo und Otto Bubenicek setzen sich zum Finale temperamentvoll an die Spitze: brachialer Charaktertanz mit Schmackes.

Eine Choreografin ist die Makarova nicht. Die Apotheose ist ziemlich armselig mit viel Theaternebel mehr arrangiert als choreografiert. Vollends misslingt ihr die Vision der Nikija im rekonstruierten 3. Akt, der Hochzeitszeremonie von Gamsatti und Solor. Jedes Mal, wenn Nikija aus dem Tempeltor oder aus irgendeiner Gasse auftaucht, muss Gamsatti mit ihrem Vater, dem Radscha, einen unmotivierten Pas de deux absolvieren, damit Solor sich mit der Bajadere abgeben kann. Dass nur er sie sehen kann, wird leider nicht durch einen besonderen Verfolger-Scheinwerfer oder eine markante Beleuchtung deutlich gemacht. Das Quartett tanzt so auf einer realen Ebene, der Effekt ist vertan.

Zwei Pausen zerreißen den Ablauf. Das pompöse, tonnenschwer erscheinende Bühnenbild (Pier Luigi Samaritani) verengt die Fläche und schnürt die Tanzaktion ein. Durch ungünstig geschnittene Kostüme (Yolanda Sonnabend) wirkt Anna Polikarpova kompakt, Jiri Bubenicek mit zu langem Oberteil fast kurzbeinig.

Als Weihnachtsmärchen taugt „La Bayadère“ nicht, weil schlicht zu langweilig. Als erweitertes Training, als Schulung der Compagnie mit Orchesterbegleitung wäre es denkbar, aber wohl ein wenig zu aufwändig.Einige wenige Buhs ertönen am Ende, sonst wird eifrig applaudiert.

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