Heinz Spoerlis „La belle vie“

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Zürich, 23/11/2002

Fünfzehn Jahre nach der Basler Uraufführung hinterlässt die Zürcher Neueinstudierung von Heinz Spoerlis „La belle vie“ eher gemischte Gefühle. Gewiss, Offenbach ist nicht umzubringen – nicht einmal von einem solchen Grobian wie Nicolas Chalvin (wo wir doch in diesem Hause in Sachen Offenbach an Nikolaus Harnoncourt gewöhnt sind). Auch nicht von dem banalen Allerweltsausstatter Martin Rupprecht, trotz der zeittypischen Delacroix-Zitate. Man anerkennt auch, dass sich Spoerli und sein Dramaturg Wolfgang Oberender viele Gedanken gemacht haben, um wegzukommen von der üblichen Operettenmasche – ihren Stoff, den Zerfall einer großbürgerlichen Familie im Paris des Second Empire zwischen den beiden Revolutionen, sozialhistorisch zu unterfüttern.

Auch steht Spoerlis Musikalität außer Frage – ebenso sein Bemühen, differenzierte Rollencharaktere zu schaffen – sehr zu Dank der Hauptbeteiligten (Dirk Segers als Vater, Sabine Mouscardès als Mutter, Karine Seneca als Ballettlehrerin, Ana Quaresma als ältere Tochter, Marine Castel als jüngere Tochter und Mateo Klemmayer als Sohn) – aber auch einzelner Nebenrollen wie den beiden Dienern von Nicolas Blanc und François Petit, die mit jedem ihrer Auftritte die Stimmung augenblicklich eskalieren lassen, oder den beiden Apachentänzern von Christina Elida Salerno und Tigran Mikayelyan, die ihre Nummer mit Karacho aufs Parkett knallen.

Schließlich sind Spoerli drei ganz und gar originelle Pas de deux gelungen, zwei für Segers und Moucardès und einer für Seneca und Klemmayer – und immer wieder ist man angerührt von den human touches, die zwischen den einzelnen Personen spielen. Schließlich hat er die Geschichte mit allen obligaten französischen Gewürzen angereichert: Straßenrevolution, Degas-Ballettsaal-Studien, Jockey-Club-Lebemännern, Dirnen, Revuetheatertänzen und immer wieder Cancans jeglicher Fasson. Keine Frage auch, dass den Tänzern diese abwechslungsreiche Folge von Charaktertänzen und Klassik ausgesprochen Spaß macht (etwas weniger Cancan-Gekreische täte es auch!). Und ihr Spaß an der Freud‘ überträgt sich auch aufs Publikum, nachdem die ganze Show erst einmal etwas zäh angelaufen ist.

Trotzdem: der spezifisch offenbachsche Esprit, wie er unweigerlich das Publikum in Massines und auch in Béjarts „Gaîté Parisienne“ anmacht, zündet nicht richtig an diesem Abend, der Ernst der Geschichte und die generelle Dunkelheit der Beleuchtung drücken auf die Stimmung, und die beiden Finale, das vor der Pause und der Schluss, entlassen das Publikum etwas bedripst. Mal sehen, wie die Berliner darauf reagieren, wenn „La belle vie“ kurz vor Weihnachten an der Deutschen Oper Premiere hat.

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