Mythologisierung des Künstlerdaseins

„El Café Orfeo“ im Cuvilliés-Theater in der Choreographie von Patrick Teschner

München, 07/05/2002

Die Violinistin Susanne Gargerle, der Pianist Massimiliano Murrali und der Tänzer Patrick Teschner machten ein Kammerkonzert des Bayerischen Staatsorchesters zum Sonder-Kammerkonzert in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Staatsballett. Sie hatten gemeinsam die Idee zu dieser Orpheus-Produktion mit Musik und Tanz und Lyrik. Am Anfang der von Erich Gargerle ausgewählten und gesprochenen Texte evozierte „Der neue Orpheus“ von Ivan Goll die Hauptfigur als einen Musiker der Kaffeehaus-Welt, der sich mit seiner Kunst hoch aufschwang, doch durch banale Nöte immer wieder in die Unterwelt des Alltags stürzte. Nach dem „Libertango“ von Astor Piazolla wurde sein Profil durch Horacio Ferrers „Ballade für einen Verrückten“ folgerichtig geschärft. Dann begann auf der bis zur Mauerwand offenen Bühne, auf der nur zwei Tische standen, an denen die Gäste des Café Orfeo saßen, der Tanz.

Patrick Teschner, Solist des Bayerischen Staatsballetts, der seit Anfang der 90er Jahre mit dem Vokabular der klassischen Technik und dessen Brechung die Aussagemöglichkeiten des zeitgenössischen Tanzes über menschliche Beziehungen untersucht, wird in dieser Arbeit konkreter und benennt die Stationen der Handlung. Mit dem Auftritt von Amilcar Moret Gonzales zur „Ballade para un loco“ für Pianoforte zeigt er, wie einer zu seiner Kunst inspiriert wird. Der kubanische Solist schafft den Übergang vom suchenden Durchschreiten des Cafés zu den eruptiven Sprüngen und Pirouetten, zu denen Piazollas Musik ihn mitreißt, dank seines ausgeprägten Sinnes für moderne Bewegungen gleitend. Eine Südländerin in orangefarbenem Rock mit schwarzem Pullover und ebensolchen Socken ist schnell für einen flotten Pas de deux gewonnen. Nachdem er den Raum verlassen hat, lockt die kühle Attraktivität dieser von Silvia Confalonieri spannend verkörperten Eurydice einen Einsamen auf den Plan: Bruce McCormicks karge, fragmentarische Bewegungen zu Stravinskys „Elegie für Solo-Violine“ zeigen die Schattenhaftigkeit einer unerfüllten Existenz, die sich ihrer selbst zu vergewissern sucht. Er zieht die von Orfeo irritierte Eurydice in ein aussagestarkes Duett zu Janáceks „Sonate für Violine und Piano“. In dieser Unterwelt tanzen auch zwei Mädchen in schwarzen Trikots (Laure Bridl-Pique, Cheryl Wimperis) und ein Mann (Jürgen Wienert), der Eurydike eine Augenbinde anlegt, mechanisch zu Mauricio Kagels Largo aus dem „Trio für Violine, Violoncello und Klavier“.

Dorthin bringt Orfeos erneutes Auftauchen wieder den Drive des Tango. Er beklagt Eurydices Fall unter die Alltagsmenschen, die ihn in einen hektischen Tanz zwingen. Über den Tisch zwischen ihnen müht Orfeo sich vergeblich, zu Eurydice zu langen. Sie, noch immer mit der Augenbinde, windet sich blind auf ihrem Stuhl, durch seine Anwesenheit die Sehnsucht nach ihm fühlend. Als er sie – Moret Gonzales unwiderstehlich führend – zum Tanzen bringt, ist sie für seine Appelle unempfänglich. Erst langsam merkt sie, dass ihre Augen verbunden sind, und streift die Binde ab. Doch nur, damit Orfeo sie nun anlegt.

Dann tanzt sie wieder mit dem Einsamen, unglücklich, zwischen den schwarzen Trikot-Mädchen mit ihren stereotypen Bewegungen. Wie Eurydike zwischen jene Männer, so gerät er zwischen diese beiden. Noch einmal wird vom „Fliegen, mit einer Schwalbe als Motor“ gesprochen, und auch das „Liebe mich so wie ich bin, verrückt, verrückt, verrückt...“ berührt jetzt. Im musikalischen Stakkato befreit sich der Held, findet wieder zu seinen erfüllten, organischen Bewegungen, die bald zu denen des Einsamen gefrieren. In der choreographischen Reminiszenz zeigt dieser Orpheus, dass er sich selbst und den Verlust seiner Inspiration durchschaut, und im Crescendo der Musik zerlegt er aus Wut und Schmerz das Café.

Trotz des etwas studentischen Sujets und eines choreographisch dünnen Beginns ist Teschner, besonders in den Sequenzen der Unterwelt, ein Stück von tragfähiger Dynamik gelungen, das, von ihm selbst ausgestattet, in der Beleuchtung von Hans Darchinger eine stimmige Ästhetik bietet. Hier steht ein junger Choreograph zu seinem Talent und beweist, dass er seine vielfältigen Erfahrungen als Tänzer fruchtbar umsetzen kann. Auch für die Musiker Susanne Gargerle, Massimiliano Murrali und Gerhard Zank (Violoncello) war es eine erfolgreiche Initiative.

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