„CLOSE_INSIGHT“ von Tiago Manquinho

Tanz im Treppenhaus

Das Festival TanzArt ostwest 2018 in Gießen

Das Site-Specific-Projekt „CLOSE_INSIGHT“ von Tiago Manquinho mit der Tanzcompagnie Gießen zu Musik von John Cage

Gießen, 14/05/2018

Das TanzArt-ostwest-Festival ist eröffnet. Wie schon in den vergangenen Jahren steht am Anfang eine Site-Specific-Performance durch einen Gastchoreografen auf dem Programm. Der freischaffende Choreograf Tiago Manquinho hat mit der Tanzcompagnie Gießen ein ungewöhnliches Tanzstück an einem öffentlichen Ort geschaffen.

Bereits im vergangenen Jahr war die Specific Site im Universitätsklinikum Gießen/Marburg (UKGM) gefunden worden, im leer geräumten Gebäude der alten Orthopädie. In diesem Jahr war es jedoch ein viel genutzter Durchgangsort: Das gläserne Treppenhaus der Chirurgie. Ein Anbau der 1990er Jahre, der 1996 mit einem Kunstensemble in Blau von Nikolaus Koliusis (Stuttgart) ausgestattet wurde. Wie so oft bei Kunst im öffentlichen Raum geht das Interesse daran und das Wissen darum irgendwann verloren. Vor wenigen Jahren hat die Kunstbeauftragte des Uniklinikums, Dr. Susanne Ließegang, dafür gesorgt, dass die Foliensegel im Treppenhaus gereinigt und eine Koliusis-Sonderausstellung organisiert wurde, die im UKGM zu sehen ist. Auch die Idee zum Tanz im Treppenhaus stammt von ihr, hatte doch der Künstler erzählt, wie sehr ihn eine Begegnung mit John Cage und dessen Gedanken zur Kunst geprägt haben. Für „CLOSE_INSIGHT“ wurde ein Musiker gefunden, der sich auf die Besonderheit der Situation einließ: Daniel Heide (Weimar). Er brachte sogar noch die beiden Flügel mit.

Gastchoreograf Manquinho entschied schon bei der ersten Besichtigung dieses spezifischen Ortes, dass die Zuschauer oben stehen und nach unten blicken sollten. Er hat die Choreografie also in der Aufsicht geplant und nicht in der üblichen Seitensicht. „Ich nutze damit nur die Tatsache, dass vieles beim zeitgenössischen Tanz am Boden stattfindet, was die Zuschauer sonst oft gar nicht sehen können.“ Das tänzerische Geschehen findet unten statt, rund um einen großen Ficus Benjamini, der auch mal die Sicht behindern kann. Von den oberen Treppenabsätzen haben die Besucher*innen die blauen Segel im Blickfeld. „Die Zuschauer sollen unterschiedliche Standorte ausprobieren. Das ist gewollt“, erklärt der Choreograf. Tiago Manquinho hat selbst 20 Jahre als Tänzer auf der Bühne gestanden, choreografiert seit 2003 und unterrichtet insbesondere Contact Improvisation. Dieser besonders geschmeidige und auf Bewegungsimpulsen beruhende Tanzstil wird bei diesem Site-Specific-Stück deutlich. Manquinho hat auf darstellerische Momente weitgehend verzichtet und sich ganz auf den Tanz konzentriert.

Das Miteinander der Tanzenden findet oft in der Horizontalen statt, also auf dem Boden liegend, oder zumindest mit ausgreifenden Armen und Beinen. In den Gruppenszenen streben sie aufeinander zu und voneinander weg, durchdringen sich, verschmelzen zum Knäuel und lösen sich ebenso geschmeidig wieder ab. Thematisch geht es um die Situation im Klinikum, wo täglich Menschen allein oder in der Gruppe hinkommen, oft in angstbesetzten Stresssituationen. Für einen Moment geben sie einander Halt und gehen dann wieder eigene Wege.

Die live eingespielten Klavierwerke von John Cage bringen den hohen Raum beinahe zum Schwingen, die Akustik ist wunderbar. Zum eindringlichen und souveränen Klavierspiel von Heide gesellen sich noch amüsante darstellerische Momente. In den in Blautönen gehaltenen Kostümen von Aneta Kowalewska gaben Anna Jirmanova, Gina Maag, Clara Thierry, Michael D´Ambrosio, Marcel Casablanca Martinez, Lorenzo Rispolano und Antonio Spatuzzi von der Tanzcompagnie Gießen sowie die Gasttänzerin Maya Triay eine bravouröse Vorstellung.

 

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