„Sommernacht, geträumt“ von Jörg Weinöhl

Die Stimme der Natur

Jörg Weinöhls letzte Produktion in Graz: „Sommernacht, geträumt“

Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ ist unerschöpflich und hat schon viele Choreografen inspiriert. Jetzt zeigt Jörg Weinöhl mit seinem großartig aufgelegten Grazer Ballettensemble ein Tanzspiel mit ganz eigenen Aspekten.

Graz, 07/05/2018

Von Bernd Feuchtner

 

Nicht mit Mendelssohns Ouvertüre beginnt Weinöhl, sondern mit dem Scherzo. Die Jeunesse dorée von Athen wohnt in einem noblen Raum, dessen Wände mit einer üppig bewachsenen Dünenlandschaft tapeziert sind. Mit den Beziehungen aber haben sie ihre Probleme, die Paare streiten sich kräftig. Das ist witzig choreografiert und sorgt für gute Laune im Publikum. Und dann ist Liederabend im Salon – Andrea Purtic trägt, begleitet von Philipp Scheucher, sehr fein Franz Schuberts Schiller-Vertonung „Die Götter Griechenlands“ vor: „Ach, von jenem lebenswarmen Bilde blieb der Schatten nur zurück“.

Und dann – nun zur Ouvertüre – sehen wir sie, die Naturwesen in ihrem lustvollen, fließenden Tanz, in grünleuchtenden Kostümen, fantasievoll variiert von Saskia Rettig, die auch die Bühne gestaltet hat. Aus Theseus und Hippolyta, dem Athener Königspaar, sind nun Oberon und Titania geworden, die Elfenherrscher: Simon Van Heddegem und Bárbara Flora beherrschen das Intermezzo mit weit ausgreifenden, den Raum beherrschenden Schritten und Sprüngen, die durch die langen grünen Tüllröcke etwas Zauberhaftes haben.

Ja, dies ist der Preis der Kultur. Das mit der Sublimierung der Sexualität klappt halt nicht immer gleich gut. In dieser Sommernacht wird das sinnlich und spielerisch erfahren. Die traumverlorenen Tanzwege des Natürlichen kontrastieren zum Ausgedachten der Bürger. Die drei Elfen Martina Consoli, Kama Imagawa und Marina Schmied sind faszinierende Glühwürmchen am Abend und scheuchen die Käfer und Spinnen fort, die den Schlummer der Elfenkönigin irritieren könnten. Man hat keinen Aufwand gescheut in Graz; Mendelssohns Lied wird von Chor und Solisten aus den Proszeniumslogen gesungen, und auch das Opernorchester spielt unter Robin Engelens stilvoller Leitung eine Hauptrolle an diesem Abend.

Und dann durchmisst Puck (Chris Wang) mit seinen verspielt-skurrilen Bewegungen den Raum. Zuhause war er der dienstbare Geist gewesen, jetzt, bei diesem Ausflug in die Natur, schwingt er sich zum Herrscher auf, indem er den Menschen Blumennektar in die Augen träufelt und dabei auch Titania nicht verschont. Mit den allbekannten Folgen. Noch einmal wird die Ouvertüre gespielt. Die Handwerker legen einen kraftstrotzenden Rüpeltanz hin: Kama Imagawa, Martina Consoli, Charla Tuncdoruc sowie Fabio Toraldo, Enzo Convert und ganz besonders dem hinreißend frechen Nimrod Poles zuzuschauen ist ein großes Vergnügen.

Und dann hat Zettel plötzlich den Eselskopf auf und wird zu Titanias Beute. Auch die Bürgerpaare – Daniel Myers (Lysander), Enrique Sáez Martinez (Demetrius), Astrid Julen (Hermia) und Clara Pascual Martí (Helena) – kennen sich nicht mehr aus in der Welt ihrer Gefühle. Nur wir finden uns gut zurecht in dem Gewühle, da der Choreograf immer wieder einzelne Gruppen im Freeze ruhigstellt, damit das, was gerade wichtig ist, nicht untergeht im optischen Lärm; eine raffinierte Maßnahme, die immer wieder gut funktioniert an diesem Abend.

Auf der Bühne jedoch ist die Not groß, und mit „Tous les mêmes“ von Stromae aus dem Jahr 2013 wird noch Hohn darüber gegossen – die Mischung aus Selbstmitleid, Angst, aus der Rolle zu fallen, und Chanson-Pathos begleitet die aus allen ihren Sicherheiten gerissenen Menschen. Selbst der Elfenkönig Oberon weiß nicht mehr, wie ihm geschehen ist; der hochgewachsene Simon Van Heddegem, überragend sowohl als Danseur noble wie als fleischliches Naturwesen, tanzt nun traumverloren seine großen, sehnsuchtsvollen Schritte in Einsamkeit, ein Herrscher ohne Reich, ein Liebender ohne Objekt.

Nach der Pause ist der Raum verschwunden, die Landschaft nur noch auf einem Vorhang aufgemalt; die Natur ist noch ferner gerückt. Puck zieht ihn langsam auf, dahinter spielt ein Kinderorchester den langsamen Satz aus Mozarts Klavierkonzert A-Dur KV 488. Oder tut wenigstens so, denn die echten Musikanten sitzen natürlich im Orchestergraben. „Am liebsten will man nur die langsamen Sätze hören“, heißt es in einem Stück von Heiner Goebbels. Und der Zauber des Eros, wie er in dieser Musik sich offenbart, hat wirklich etwas kindlich Unschuldiges. Die vier Liebenden verzehren sich in Sehnsuchtsgesten (Kana Imagawa fällt in dieser Nummer als Helena-Einspringerin wiederum positiv auf).

Das Erwachen aus dem Traum dieser Sommernacht geschieht zu Mendelssohns Notturno. Zettels Eselskopf ist fort. Oberon zieht noch einmal das Register des Traumtanzes, um dann wieder mit seiner Titania vereint zu sein. Doch Vorsicht! Wenn danach Udo Jürgens sein „Immer wieder geht die Sonne auf“ schmettert, legt der Choreograf eine Falle: Wie in Gustav Mahlers Siebter Sinfonie ist die blendende Helle des Tages Trug. Das Dunkel der Nacht barg die Wahrheit. Die Erleichterung des Erwachens, die Befreiung aus den Täuschungen des Traumes ist auch eine Rationalisierung und bedeutet die Regression in alte Verhaltens- und Rollenmuster. João Pedro de Paula präsentiert vor dem schwarzen Zwischenvorhang, auf den ein Poster der Dünenlandschaft gepinnt ist, einen Grotesktanz – dieser Tänzer, dessen unschuldig-animalische Ausdruckskraft aus dem Corps de ballet immer wieder heraussticht, bereitet uns damit emotional auf das Wechselbad der Gefühle vor, das den Paaren bevorsteht.

So triumphal der Hochzeitsmarsch klingt, so selbstbewusst ziehen die Paare ins traute Heim, in dem die Naturlandschaft nur noch als gerahmtes Kunstprodukt an der Wand hängt. Theseus und Hippolyta sind Teil der Hochzeitsparty. Wenn die Musiker und Sänger die erinnerungstrunkene „Waldesnacht“ von Johannes Brahms darbieten, hat die Kompanie noch einmal Gelegenheit, sich in der Vielfalt ihrer Talente zu zeigen. Und dennoch präsentieren die Tänzerinnen und Tänzer sich als homogenes Ensemble, hoch engagiert, mit Bewegungen, die den Zuschauer emotional mitreißen. Hier sind es die drei Handwerkerpaare, die noch einmal besonderen Spaß haben. Doch was geschieht mit Hippolyta? Sie wird auf einmal überwältigt von der Erinnerung an Zettel und tanzt leidenschaftsvoll mit ihm. Auch die anderen Anziehungskräfte aus dem Traum werden auf einmal übermächtig – die Natur lässt sich eben auf Dauer nicht unterdrücken. Das Paarglück zerstiebt im Finale, das Häuschen steht zum Verkauf. Beim Schlussapplaus stehen fünfzehn glückliche Tänzer an der Rampe – eine ungerade Zahl? Ach ja, Puck ist partnerlos geblieben. War das vielleicht der Grund für den ganzen Spuk? Diesmal hat er es aber übertrieben.

 

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