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Halle
DIE SEELE AUS DEM LEIB TANZEN
"Inferno / Sacre": Tanzabend mit dem Ballett Rossa
Michal Sedláček, 1. Solotänzer und Stellvertreter von Ralf Rossa hat mit "Inferno", seiner ersten Choreografie für ein abendfüllendes Tanzstück, den Grundstein für den Erfolg des Abends gelegt. Inspiriert wurde er von dem „dreizehnten Zimmer“, einer aus Tschechien stammenden Redewendung, die für einen abgründigen Ort des Verborgenseins, der Sehnsucht, des Verlusts und von Schuld steht. Für das Auftragswerk komponierte der Spanier Enric Parlorma eine Ballettmusik für großes Orchester, unter Anlehnung an Dantes Höllenreise aus dessen Göttlicher Komödie. Und so bewegt sich seine Komposition klanglich zwischen Abgrund und Aufbruch. Mit expressiven Bewegungssequenzen spürt Sedláček in seiner Choreografie den Höllenqualen als Seelenqualen nach und lässt durch eine phantasiereiche Körpersprache, die bis an die Grenzen des Möglichen die Tänzerinnen und Tänzer herausfordert, sich die Seele aus dem Leib tanzen. Dabei liefert die musikalische Grundierung durch die Staatskapelle Halle unter der musikalischen Leitung des jungen, ambitionierten Kapellmeisters Michael Wendeberg die Folie für einen schnellen Wechsel und die Vereinigung und Abstoßung der Tänzerinnen und Tänzer in synchron und asynchron getanzten, zuweilen akrobatischen Formationen. Zunächst beginnt es aber in Matthias Hönigs Licht-Raum verhalten. Johan Plaitano und Pietro Chiapparo sitzen als Doppelwesen (Hydra) auf dem Boden. Sie assoziieren ein Schweben über dem (Höllen-)Abgrund. in Anziehung und Ablehnung, Symbiose und Verweigerung finden sich diese beiden Tänzer zu immer neuen Metamorphosen zusammen. Hebungen, Verschränkungen und Verquerungen der Körper, mal im Solo, dann wieder als Teil der Gruppe, mal vermummt und dann wieder sich die Kleider vom Leib reißend. Man spürt förmlich die Seelenqualen, weil Michal Sedláček in seiner Choreografie das Innere (Seelenqualen, Hoffnung, Verzweiflung) nach außen holt. Es sind Bilder, die man so schnell nicht vergisst, nicht zuletzt dank der Musik des spanischen Komponisten zwischen Tonalität und Atonalität und mit ihren Flamenco-Rhythmen.
Der zweite Teil des Abends mit Igor Stravinskis "Le Sacre du Printemps" in einer Choreografie und Inszenierung von Ralf Rossa aus dem Jahre 2006 wurde durch Michal Sedláček neu einstudiert. Rossa hatte sich in seiner Fassung von der ursprünglichen Fassung dieses Klassikers der Moderne gelöst. Er machte aus dem Frühlingsopfer ein ganz besonderes Frühlings-Erwachen. In getanzten Bildern wird ein emotionales Chaos entfacht, bei dem jede einzelne Bewegung bis ins Detail kalkuliert ist. Das Erwachen der Gefühle zwischen den Jungen und Mädchen einer College-Klasse, die Irrungen und Wirrungen, die Entdeckungen des Körpers, das Aufkommen sexueller Gefühle und nach und nach auch Begierde, Intimität und Ablehnung, Gewalt, Zärtlichkeit und Brutalität – alles lässt Rossa mit seinen Tänzerinnen und Tänzern entstehen und vergehen. Und das in wunderbarer Weise getragen von der Musik und dem Klangspektrum der Staatskapelle. Szenen, die emotional unter die Haut gehen: Alle 22 Tänzerinnen und Tänzer mit der Front zum Publikum, in einer Stuhlreihe. Arme und Beine synchron in rasanter Aktion. Das Ausbrechen aus der uniformen Gemeinschaft. Hier beginnt das allmähliche Sich-Lösen aus der Gemeinschaft. Daraufhin folgt im Gleichklang das Ausziehen der Schuluniformen. Die Jungen in knappen Shirts und die Mädchen mit Bustiers: Sie erleben vor einem wechselnden Blütenhorizont den Frühling in doppeltem Sinn: Natur und die Natürlichkeit der Emotionen zwischen Zuneigung, Verlangen und Ablehnung. Die Neueinstudierung zeigt eindrucksvoll, wie zeitlos die Choreografie von Ralf Rossa ist und welche tänzerische Qualität das Ballett Rossa besitzt. Ovationen und Beifall für einen ganz besonderen Tanzabend.
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