Glanzvolle Stimme, langweilige Choreografie

Der Liederabend „Love“ von Simone Kermes in der Elbphilharmonie

Die Sopranistin Simone Kermes kombinierte Arien über die Liebe mit Tanz. Eine schöne Idee, die choreografisch aber nicht überzeugte.

Hamburg, 13/04/2017

Es klang verheißungsvoll: Die Sopranistin Simone Kermes, bekannt für ihre atemberaubenden Koloraturen und ungewöhnliche künstlerische Einfälle, kommt mit kleinem Ensemble und zwei Tänzern in den großen Saal der Elbphilharmonie. „Love“ heißt das Programm (und gleichnamige Album) mit Arien und Liedern aus Renaissance und Barock rund um Höhen und Tiefen, Glück und Leid einer liebenden Frau. Ihr zur Seite das Kammerorchester „La Magnifica Comunità“, das auf historischen Instrumenten (Streicher, Cembalo, Schlagwerk, Laute) spielt und auf italienische Musik spezialisiert ist.

Und natürlich war die Sangeskunst der Kermes über jeden Zweifel erhaben. Ob Claudio Monteverdi oder Henry Purcell, Antonio Vivaldi, John Dowland oder weniger bekannte Komponisten aus dieser Zeit – sie lotete alle Nuancen der mal heiteren, mal schwermütigen, mal kämpferischen, mal resignativen Stücke bis in jeden Winkel hinein aus. Überzeugend nicht nur dann, wenn sie die Koloraturen souverän aus ihrer Kehle perlen ließ und auch noch die aberwitzigsten Sprünge bravourös meisterte, sondern vor allem auch in den leisen, zarten Tönen. Der große Saal der Elbphilharmonie machte dabei seinem guten Ruf hinsichtlich der Akustik alle Ehre – selbst die Laute war ohne jede elektronische Unterstützung exzellent zu vernehmen.

Als Verstärkung der gesanglichen und musikalischen Aussage hatte Simone Kermes zwei 18- und 19-jährige Tänzer engagiert: Ludovico Tambara und Tommaso Marchignoli, beide Italiener, beide Zöglinge der Staatlichen Ballettschule Berlin, der eine wie der andere sowohl tänzerisch wie technisch erkennbar gut ausgebildet. Das Problem war nur, dass Torsten Händler, der viele Kreationen für das Ballett Chemnitz und andere namhafte Bühnen geschaffen hat und seit 2015 freiberuflich arbeitet, ihnen eine durch und durch langweilige Choreografie und Inszenierung verordnet hatte. Sie mussten die Kermes mal auf dem Boden kriechend umrunden, mal sich ihr zu Füßen legen, mal sie hüpfend und Beine schwingend umkreiseln oder andere recht gewollt erscheinende, oft hölzern-eckige Bewegungen ausführen. Ein goldenes großes Tuch diente mal als Vorhang, mal als Mantel oder Teppich oder – zur Kordel gedreht – als Fessel, erschien vorwiegend aber schlicht als überflüssig und hinderlich. Das passte weder zum Gesang der Kermes noch zum Inhalt der Lieder und Arien. Bewegung und Musik kamen nur selten so zusammen, dass sich wirklich etwas Neues, Drittes ergab. Und so wurde leider nicht das erreicht, was Simone Kermes eigentlich wollte: mehr Tiefe. Im Gegenteil: Der Tanz erschien häufig sogar eher störend.

Auch die Kostüme von Johanna Henze waren gewöhnungsbedürftig: Die Jungs waren bis zur Pause in gülden-blaue Kniebund-Pluderhosen gehüllt, dazu transparente, in die Hosen gesteckte Hemden. In Teil 2 waren die Pluderhosen dann durch lange blaue Hosen ersetzt, während die Hemden diesmal über den Hosen getragen wurden. Die Kermes – für diesen Abend mit platinblonden Kringellocken anstatt der roten Mähne – erschien mal im Brokatreifrock, mal in schwarzem Ballonrockkleid mit schräger Schuhkreation (bewundernswert, dass sie darauf laufen konnte), in Teil 2 dann in königsblauer Barockrobe mit golden abgefütterten Tütenärmeln. Eine ziemlich überflüssige Kostümierung, die nicht wirklich Sinn ergab.

Erst in den Zugaben wurde deutlich, was für eine ‚Rampensau’ die Kermes sein kann. Die erste, eine halsbrecherisch schwierige Arie aus dem Repertoire des Kastratensängers Farinelli, erlaubte ihr, alle Register zu ziehen und das gesamte Rund des großen Saales mit glitzernden Koloraturen zu füllen. Schon da frisst ihr das Publikum aus der Hand und kommt langsam aus der Reserve. Erst recht aber, als sie fragt: „Habt Ihr noch Lust?“ und „Was wollt Ihr hören? Was Deutsches?“ Als die Antwort „Bach“ aus den ersten Reihen kommt, dreht sie sich um und spricht mit den Musikern. Und dann schält sich aus den ersten hohen Tönen ganz langsam eine Melodie, die in Deutschland wohl kaum jemand nicht kennt, und für Sekundenbruchteile stockt allen der Atem – das kann doch nicht sein??? Doch, es ist unverkennbar: Helene Fischers „Atemlos“ als Koloraturarie... Ein Gag, der das Publikum endgültig zu Beifallsstürmen hinreißt. Schlagfertig die Antwort der Kermes auf die Frage nach dem nächsten Wunsch, bei dem ihr natürlich auch „Königin der Nacht“ zugerufen wird. „Wieso?“, fragt sie da, „Die hab ich doch gerade gesungen...“

Aus aktuellem Anlass dann die letzte Zugabe, ein Lied für den Frieden: „Sag mir, wo die Blumen sind“, der Antikriegs-Song, dem schon Marlene Dietrich und Joan Baez zu weltweitem Ruhm verholfen haben. Und tatsächlich singt der ganze Saal vernehmbar mit – nicht alle, aber viele folgen der Aufforderung der Kermes, sich dabei an den Händen zu fassen. Nicht erst da ist klar: Auf die tänzerischen Einlagen sollte Simone Kermes künftig besser verzichten. Oder sich einen anderen Choreografen dafür engagieren.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern