André Doutreval und seine beste Zeit - von Wien aus durch die ganze BRD

Pick bloggt zum 75. Geburtstag von André Doutreval

Günter Pick erinnert an die Karriere von André Doutreval und an ein fast vergessenes Ballett.

Wenn ich eben erst an die Jubilare des Gärtnerplatztheaters dachte, dann gibt es da noch einen, an den ich mich durch das Netzwerk LinkedIn erinnert habe und der am 5. Januar die 75 Jahre vollendet hat. André Doutreval war ein Meisterschüler der Wiener Staatsopernschule unter Erika Hanka und auch kurz im Ensemble dieses traditionsreichen Hauses. Ich habe ihn allerdings zuerst in einem Ballett von Erich Walter in Wuppertal gesehen, wo der ungeduldige André gleich die Titeltrolle tanzte. Er war „Der Tänzer unserer Lieben Frau“, ein Auftragswerk der Wuppertaler Bühnen, ein abendfüllendes Ballett, an das ich mich nur seinetwegen erinnere – und wegen eines nie dagewesenen Bühnenbildes von Heinrich Wendel, das nur aus Projektionen bestand. Aber nicht so, wie schon länger praktiziert, mit Projektionen auf eine rückwärtige Opera anstelle von bemaltem Leinen. Nein, Wendel projizierte auf den gesamten Aushang, sämtliche Gassen und weitere Gaze-Vorhänge und erzeugte auf diese Weise statt eines gebauten Raumes eine dreidimensionale Traumwelt, um die es ja in dieser religiösen Handlung auch geht. Einen Tänzer vergangener Zeiten, der eine Erscheinung der Mutter Maria hatte – was ich hoffentlich richtig im Gedächtnis habe.

In den quasi nicht vorhandenen Räumen, die mal aus riesigen Kathedralen mit Fenster-Rosetten oder – in meiner Erinnerung – pflanzlichen Räumen bestanden, tanzte dieser nicht zu bändigende junge Mann wie um sein Leben. So einen Tänzer hatte ich noch nie gesehen und rückblickend, denke ich, war er so etwas wie ein verfrühter Nurejew. Denn zu dieser Zeit gab es eigentlich in erster Linie den Danseur noble oder die Charaktertänzer für Rollen wie Petruschka und ähnliches. Aber dieser Kerl war gleichzeitig ein scheuer, gläubiger junger Mann, bei dem aber das Tanztemperament eigentlich nicht zu zügeln war. Er sprang und drehte, wie Egbert Strolka, der aber kleiner und weit weg vom lyrischen Fach war, was ja keine Wertung ist, sondern eine Frage des Typs. Im Übrigen war Rudolf Nurejew in seinem ganzen Leben kein nobler Tänzer, sondern ein „Kraftpaket“, bei dem man gerne auch mal auf edle Linien verzichtete.

Natürlich blieb André nicht lange in Wuppertal, sondern ging mit den anderen Solisten an die Deutsche Oper am Rhein, eine Theater-Ehe der Opern Duisburg und Düsseldorf. Dort hatte Erich Walter nun ein Ensemble, das – neben Berlin, München, Hamburg und Stuttgart –, gerade den Durchbruch zum Weltruhm machte. In Düsseldorf habe ich nur einen der ersten dreiteiligen Abende gesehen, dann längere Zeit nichts. Mir kommt es so vor, als ob ich André in Frankfurt wiedergesehen hätte, er hatte dort einen Kammertanzabend choreografiert, in der Übergangszeit zu John Neumeier und war einige Jahre in der Stadt am Main. Das könnte etwa zu der Zeit gewesen sein, als Heidrun Schwaarz dort tanzte. Aber ob sie laut Programm seine Partnerin war, weiß ich leider nicht mehr. Zurzeit von Tatjana Gsovsky kann es wohl nicht gewesen sein, das hätte ich nicht vergessen, denn ihre Stücke waren immer etwas Besonderes.

André war zwischen diesen Engagements auch an der Deutschen Oper Berlin aufgefallen, zurzeit von Kenneth MacMillan. Aber schließlich landete er in Kassel am Staatstheater, wo er für sieben Jahre Ballettchef wurde, und ich nehme an, er wurde, wie so viele andere Choreografen auch, irgendwann Opfer eines Intendantenwechsels – trotz voller Häuser. Er hatte aber mit seiner Frau Silvia Haemmig in Kassel im Theater eine ungewöhnlich ambitionierte Schule auf die Beine gestellt, auf die er bei den großen Produktionen des klassischen Repertoires zurückgreifen konnte, um das erforderliche große Ensemble auf die Bühne zu bringen. Als die Zeit am Staatstheater zu Ende ging, war diese Schule so gut situiert, dass er sie, und das ist, glaube ich, typisch für Doutreval, als Anker für eine freie Kompanie nehmen konnte.

Jedes Jahr hörte man von der neuen Kompanie mit dem Namen „Ballett-Arena Kassel“. Vor allem im Rahmenprogramm der Kunstausstellung, was durchaus als Konkurrenz zum Staatstheater gelten konnte und überregional Aufsehen erregte. Er hatte gute Tänzer und wurde unter anderem nach Köln und Darmstadt eingeladen. Ich habe für jeden, der die Chuzpe aufbringt mit diesem Risiko zu arbeiten, großen Respekt. Er kam aber nach ich weiß nicht wie vielen Jahren an den Punkt, wo die finanziellen Mittel so knapp wurden, dass es bei der Stadt wegen einer vergleichsweise kleinen Subvention zum Eklat kam und André die Tanz-Arena auflösen musste. Vielleicht hat auch den Kraftbolzen André Doutreval dann eine kleine Müdigkeit übermannt und er übergab seine Schule am Königstor an Verena Renner. Mit ihr existiert sie bis heute weiter und auf der Homepage kann man sehen, dass der Gründer nicht vergessen wurde.

André und seine Frau Silvia haben sicher die Silberhochzeit lange hinter sich und haben sich nach Bern zurückgezogen, wo André als erstes Engagement nach der Wiener Staatsoper ein einjähriges „Gastspiel“ gegeben hatte, ehe er sich für die BRD entschied. Auch in Bern nimmt er Teil am künstlerischen Leben. Als das Ballett des Stadttheaters auf der Kippe stand, hat das Ehepaar Doutreval/Haemmig sich stark dafür eingesetzt, dass es nicht weggespart wurde und sie hatten Erfolg.

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