„Flesh“ von Iván Pérez

„Flesh“ von Iván Pérez

Zwischen Trivialität und Tiefe

Kooperations-Premiere: Ballett der Oper Leipzig zeigt „Flesh“ im Schauspiel

Eine Distanzreduzierung, von der (filmisch gesprochen) großen Totalen hin zur Halbnahen - oder vom, wenn man so will, epischen Gestus hin zum Psychologischen, zur Innenschau - bietet dieser Abend nicht nur räumlich.

Leipzig, 28/04/2016

Drei Einzelchoreografien gefügt zum Triptychon: „Flesh“ heißt der Ballettabend des spanischen Choreografen Iván Pérez, der am Freitag Premiere feierte. Premiere auch insofern, als dass mit dieser Inszenierung dank der Kooperation der beiden Häuser erstmalig das Ballett der Oper Leipzig auf der Bühne des Leipziger Schauspiels bejubelt werden konnte. Wo freilich, ob regelmäßiger Frequentierung durch die Euro-Scene oder auch das Leipziger Tanztheater, einschlägige Aufführungen schon längst kein Novum mehr sind. Und doch ist es etwas Besonderes, jetzt die Ballettkompanie vom Augustusplatz in der Bosestraße erleben zu dürfen. Der Grund ist simpel: Es ist die reizvolle, die komprimierte Raumdimension auf der Bühne - und zwischen dieser und dem Publikum. Diese bietet im Kontrast zum Opernhaus mehr an Nähe, ohne auf die Pelle zu rücken. Eine Distanzreduzierung, von der (filmisch gesprochen) großen Totalen hin zur Halbnahen. Oder vom, wenn man so will, epischen Gestus hin zum Psychologischen, zur Innenschau. Was zu den Intentionen dieses Ballettabends passen dürfte. Zumindest partiell.

„Flesh“ sei eine sehr persönliche Arbeit, sagt Iván Pérez. Die Basis bilde die Erfahrung des frühen Todes seiner Eltern - jedoch habe er beim Inszenieren „von Beginn an gespürt“, dass hier weit über das persönliche Trauma hinaus „etwas Universelles erreicht“ worden sei. Nun ja. Betrachtet man „Flesh“ durch die Optik dieser doch recht euphorischen Einschätzung (nachzulesen im Programmheft), kommt man nicht umhin anzumerken, dass es sich bezüglich der Universalität in der Inszenierung dann doch weitteilig um die Universalität gewisser Gemeinplätze handelt. Das beginnt schon beim gedanklichen Unterfutter, das hier unter anderem mit dem Garn durchsetzt ist, welches auch der Bestsellerautor ‚spiritueller Bücher’ Eckart Tolle gern spinnt. Man könnte das als nebensächlich durchwinken, läge darin nicht etwas Symptomatisches: Denn wo die Spiritualität etwa eines Ibn Arabi oder Meister Eckhart schnell zu kryptisch und komplex wird für den Zeitgeist, findet sich für genau den bei Tolle ein Meister salbungsvollen Selbstfindungs-Salbaderns samt jenen Innerlichkeitsklischees, zu denen dann eben auch „Flesh“ neigt. Die Musik eines Mixtapes (Aaron Martin, Ian Hagwood, Arvo Pärt, Eric Whiteacre) für die esoterischen Momente im Leben, forciert das aufs Beste. Ein ununterbrochen flächiges Säuseln und Raunen zu wabernden Intervallen. Unorigineller geht’s kaum.

Aber weil für „Flesh“ ja nun schon das Universelle bemüht wurde, muss an dieser Stelle jetzt doch auch noch von einem Wunder die Rede sein. Denn tatsächlich: Tänzerisch ist „Flesh“ gelungen. Trotz allem. Und das meint auch noch jene choreografischen Schwächen eines Auf-der-Stelle-Hastens, oder diese Neigung, das Ensemble im Namen welcher Metapher auch immer im Kreis rennen zu lassen. Was ja immer eher sportiv, denn dramatisch wirkt. Wie auch jene Figurationen des Anziehens und Abstoßens zwischen Yoga-Übung und Klassenkampf-Gruppendynamik, mit denen der erste Teil des Triptychons aufwartet - an dessen Ende dann aber Sarah Hochster und Yan Leiva mit einem zart verspielten Duett ein Versprechen geben, das Laura Costa Chaud und Piran Scott im Folgeteil mehr als nur erfüllen. „Kick the bucket“ heißt diese Choreografie eines intensiven Körperdialogs. Masken hängen da vom Bühnenhimmel und schauen mit der Gleichgültigkeit ihrer leeren, toten Augen herab auf diesen Tanz. Einer ist darin dem Anderen erst süße, dann schwere Last. Qual schließlich. Und was hier an Variablen eines Erfüllens und Verlierens, eines aneinander Wachsens und Zugrundegehens gezeigt wird, dieser Lebenshunger-Tanz wider dem ‚Ins Gras beißen’, des Verreckens und ‚Löffel abgebens’ („Kick the bucket“ frei übersetzt), wirkt so fern von allem Universellen, so schmerzhaft persönlich, ehrlich und offen, das es alle Distanz, allen knarzenden Bedeutungsunterbau, alle Musikbeliebigkeit wie mit der Rückhand wegwischt, pulverisiert, in die Mülltonne kickt - und einfach emotional zupackt.

Der dritte Teil („Flesh“) reicht da nicht mehr ran, vermag es aber in seinen kühleren Gruppenchoreografien wie auch in zwei Duetten zwischen schwebend (Nummer 1) und etwas manieriert (Nummer 2), den Puls auf ein hypnotische Midtempo zu dimmen, in dem man gerne treibt. Die Nähe zur Bühne, den Tänzerinnen und Tänzern genießend, die in der Halbnahen so gut bestehen wie in der Totalen. Und dabei begreifend, was „Flesh“ im Kern ist: Ein großer Pas de deux zwischen Trivialität und Tiefe, Plattitüde und Authentizität. Wie sich das prozentual aufteilt, mag jeder selbst entscheiden. Der Premierenapplaus jedenfalls, war begeistert.

Vorstellungen: 7., 20., 29. Mai
 

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