Zerrinnende Erinnerungen

Rabih Mroué arbeitet mit Dance On

Einen Abschied vom Tanz auf Raten zeigt die neue Dance-On-Produktion in berührenden Geständnissen und meisterlich getanzten Gruppenbildern.

Hamburg, 26/04/2016

Ziemlich gut erinnert der Körper sich an Bewegungen, die er einmal gelernt hat. Wie viel davon er allerdings immer wieder abrufen kann, hängt entscheidend vom Zustand seiner Knochen, Muskeln und Sehnen ab. Immer begrenzter wird im Laufe der Jahre der Fundus des „Machbaren“- zerrinnt wie Wasser, das man mit den Händen geschöpft hat. „Water Between Three Hands“ hat der Libanese Rabih Mroué sein ungewöhnlich poetisches neues Stück genannt. Entstanden ist es für und in Zusammenarbeit mit den sechs 40- bis 50-jährigen Tanz-„Senioren“ des Ensembles „Dance On“. Auf Kampnagel in Hamburg erlebte es jetzt seine Uraufführung. Einen Abschied vom Tanz auf Raten zeigt diese neue Dance-On-Produktion in berührenden Geständnissen und meisterlich getanzten Gruppenbildern.

Die Arbeit mit Tänzern ist ein Novum für den heute 48-jährigen, vielseitigen Allroundkünstler aus Beirut, der schon Anfang des Jahrtausends Berlin zu seiner zweiten Heimat erkor. Mit Kunstinstallationen u.a. bei der documenta 2014 und Performances, meist allein oder mit Ehefrau Lina Majdalanie, ist er heute einer der angesagtesten Theatermacher zwischen Berlins HAU, das ihm gerade eine Retrospektive widmete, den Münchner Kammerspielen und Hamburgs Kampnagel. Standen bislang die politischen Krisen und Kriege im Mittleren Osten im Zentrum seiner philosophischen Diskurse aus Vortrag und Videoclips, so hat er sich nun mit berührender Akribie und deutlichem Respekt der Wirklichkeit alternder Tänzer zugewandt.

Das „Geben und Nehmen“ im Entstehungsprozess, das er während des Publikumsgesprächs hervorhebt, ist ständig spürbar. Den Titel und die thematische Konzeption brachte er bereits zur ersten Probe mit. Die Formulierung „drei Hände“ weist darauf hin, dass hier eine Gruppe gemeinsam auf Erfahrungsreise geht. Die Tänzer pendeln zwischen Mikrofon und Tanzfläche. Auf dem Rednerpult liegt ein kleines Notizbuch – Regie- und Tagebuch, in dem die Gedanken, Skizzen und Dialoge protokolliert wurden. In den künstlerischen Austausch wird bei der Performance auch der Schlagzeuger Philipp Danzeisen einbezogen. Nicht zuletzt spielt das Publikum als Adressat und Mitdenker der Szenen von Alter und Abschied, Realität und Reflektion seine bei Mroué immer wesentliche Rolle. Zum Glück darf auch immer wieder gelacht werden über witzige Fingerzeige, selbstironische Leidensgeschichten und Posen. Vor allem aber besticht dieses 75-minütige Tanzstück durch die Cluster aus noch immer vorzüglich tanzender Individuen.

Choreograf wollte Mroué sich nicht nennen. Dennoch ist eine fein ziselierte, räumlich und zeitlich klar strukturierte Choreografie entstanden für das kleine Ensemble aus vier Nationen: Ty Boomershine, Amancio Gonzalez, Brit Rodemund, Christopher Roman, Jone San Martin und Ami Shulman. Wie mit dem ersten Programm „7 Dialogues“ geht das Ensemble nun mit „Water Between Three Hands“ auf Tournée. Nach jeder Aufführung wird eine Seite aus dem Tagebuch gerissen und zerknüllt werden. Immer weniger Episoden, Bewegungen und Sequenzen werden übrig bleiben. Tröstlicher Weise verbreitet die Liste der Choreografen und Co-Produzenten, die während dieser vierjährigen 1. Edition mit Dance On arbeiten werden, Hoffnung: als Produzent haben sich schon jetzt tanzhaus nrw (Düsseldorf) und Tanz im August (Berlin) eingeklinkt. Kat Válastur, Deborah Hay, Jan Martens und William Forsythe konnten als Choreografen gewonnen werden.
 

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