Manfred Schnelle mit Mitgliedern des Ensembles „Dresdner Hoftanz“

Manfred Schnelle mit Mitgliedern des Ensembles „Dresdner Hoftanz“

Die letzte Bewegung eines Tanzes bildet immer den Anfang einer neuen

Der Dresdner Tänzer und Choreograf Manfred Schnelle ist im Alter von 80 Jahren verstorben

Mitten in den Proben zu seinem neuen Stück, einer Rekonstruktion der Tänze seiner Lehrerin Marianne Vogelsang, starb Manfred Schnelle. Das Projekt wird weitergeführt, nun nicht nur zu Ehren der Tänzerin, sondern auch des Choreografen.

Dresden, 18/02/2016

Heute, am 17.02., ist der Dresdner Tänzer und Choreograf Manfred Schnelle im Alter von 80 Jahren gestorben. In der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag war er zusammengebrochen, bis kurz zuvor war er voller Tatendrang, stand mitten in der Arbeit, denn er wollte noch einmal, seinem Herzen folgend, die fünf Präludien aus dem „Wohltemperierten Klavier“ von Johann Sebastian Bach in der Choreografie der deutschen Ausdruckstänzerin Marianne Vogelsang zur Aufführung bringen.

Als Manfred Schnelle in Dresden seinen 70. Geburtstag feierte schrieb die Kritikerin Gabriele Gorgas in den Dresdner Neusten Nachrichten: „Es gibt Menschen, die haben eine so angenehme und anregende Wesensart, dass allein schon ihre Nähe erwärmend ist. Man empfindet Vertrauen, spürt Wahrhaftigkeit, Intensität. Egal wo und wann man ihnen begegnet - es tut der Seele gut.“ Sie schrieb dann auch noch, er sei jetzt „70 Jahre jung geworden“. Zehn Jahre später, im vorigen Jahr, zum 80. Geburtstag, hatte man den Eindruck, jetzt sei er eben 80 Jahre jung geworden.

Er war aktiv. Im Dresdner Ballettstudio Espiral konnte man bei ihm Kurse für historischen Tanz belegen. Die Beschäftigung mit dem höfischen Barock- und Renaissancetanz bedeutete für ihn aber keine pure Rekonstruktion. „Historischer Tanz vermittelt mit seinem spezifischen Schritt-Vokabular und seinen stilistischen Besonderheiten nicht nur museale Kenntnis, sondern er ist vor allem Träger einer Geisteshaltung, die in gegenwärtiger Stunde als Zeugnis von Kultur und Kunst zu menschlicher Würde mahnt“, so äußerte er sich dazu einmal. Und wer Manfred Schnelle als Tänzer erlebt hat, etwa wenn er vornehmlich in Kirchen die Traditionen des Ausdruckstanzes lebendig werden ließ, spürt, dass sein Tanz in der Korrespondenz zur Besonderheit der Architektur und Tradition sakraler Räume zu Orgelmusik, „ein ganz eigenes, tiefes Gefühl für die Wirklichkeit“, widerspiegelt. So der Eindruck nach einem Abend in der Geraer Johanniskirche. Es gebe sicher nur ganz wenige Tänzer, „die Architektur, Musik und Bewegung so meisterlich in Einklang zu bringen verstehen, wie Manfred Schnelle“, heißt es weiter.

Von besonderer Intensität waren seine Interpretationen der Präludien aus Johann Sebastian Bachs Sammlung „Das Wohltemperierte Klavier“, jene Choreografien der Tänzerin und Pädagogin Marianne Vogelsang, eine der bedeutendsten Vertreterinnen des Deutschen Ausdruckstanzes, die sie ihrem Schüler 1973, kurz vor ihrem Tod, gewissermaßen als Vermächtnis übertrug. Anlässlich ihres 100. Todestages erinnerte sich Manfred Schnelle, dass ihm erst später bewusst wurde, was es bedeutete, warum Marianne Vogelsang es wollte, „dass die letzte Bewegung eines Tanzes immer den Anfang des nächsten bildet.“ Die Tänzerin war zu dieser Zeit bereits schwer erkrankt, was Manfred Schnelle nicht wusste. „Dass sie ihr eigenes Sterben choreografierte, konnte ich ja nicht ahnen“ heißt es im Interview mit Hartmut Regitz für die Zeitschrift „Tanz“ im Oktober 2012. Was der in Halle geborene, an der Berliner Fachschule für Tanz (heute Staatliche Ballettschule Berlin), vor allem bei Marianne Vogelsang, gelernt und verinnerlicht hat, bestimmt fortan seinen solitären Weg als Tänzer, Choreograf und Pädagoge. Im Ballett der Staatsoper Dresden konnte er davon wenig einbringen. „Im Kampf gegen den sogenannten Formalismus wurden die Neuerungen des modernen Tanzes, zumal der Ausdruckstanz, verdrängt, die sich dem Projekt des sozialistischen Realismus schwer anpassen ließen“, heißt es zum Thema „Körperpolitik“ in „Denkströme“, dem Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, Heft 14 (2015). Hier kommt auch Manfred Schnelle zu Wort und sagt, dass er den Unterricht bei Marianne Vogelsang als etwas „Kostbares“, als „Kunstwerk“, empfunden habe. Aber sie verlor ihre Anstellung als Abteilungsleiterin für Neuen Künstlerischen Tanz. „Ihre Art des Unterrichtens war auf eine eher unsystematische Förderung der Kreativität ihrer Schüler ausgerichtet und auf die Erziehung hin zu selbständig handelnden Künstlerpersönlichkeiten“, wie es weiter im Journal „Denkströme“ heißt. Manfred Schnelle ist es vor allem zu verdanken, dass er gegen erhebliche Widerstände der offiziellen Kulturpolitik der DDR, als Tänzer in den Kirchen und vor allem als Lehrer, als Choreograf nicht nur bewahrt, sondern vor allem weitergegeben hat, was es nach den Erfahrungen bei Marianne Vogelsang bedeutet, dass sich „Intuition und Raum entsprachen“, und vor allem, wie man existenzielle Erfahrungen in der Bewegung thematisiert.

Und jetzt wollte er eben diese Tänze noch einmal aufführen, er wollte sie mit dem jungen Tänzer Nils Freyer, Absolvent der Staatlichen Ballettschule Berlin, einstudieren. Die Aufführung ist für September, im Rahmen des Dresdner Bachfestes im Socieaetstheater geplant. Die Jury des von der Kulturstiftung des Bundes geförderten „Tanzfonds Erbe“ sagte die Unterstützung zu. Professor Ralf Stabel, Direktor der Staatlichen Ballettschule Berlin, der gerade an einem Buch über Marianne Vogelsang schreibt, ist als Berater und Ideengeber dabei, eine Lesung aus dem Manuskript des Buches ist an diesem „Abend für Marianne Vogelsang“ vorgesehen. Dazu musikalische Miniaturen, gespielt von der Pianistin Ulrike Buschendorf, und die Einspielung historischer Aufnahmen der Tänzerin Marianne Vogelsang. Alle Mitwirkenden, zunächst von der ernsten Erkrankung Manfred Schnelles betroffen, jetzt in Trauer über seinen Tod, waren sich rasch einig, es ist im Sinne des Verstorbenen, wenn sein Werk weiter geführt wird. „Wir machen weiter - jetzt erst recht“, so Ralf Stabel.

Die von Manfred Schnelle sehr geschätzte Tänzerin Sonja Zimmermann wird seine Arbeit zu Ende führen, der „Tanzfonds Erbe“ wird auch unter diesen Umständen das Projekt wie geplant fördern. Für Professor Stabel ist es wichtig, jetzt diesen „Abend für Marianne Vogelsang und Manfred Schnelle“ im Rahmen des Bachfestes als würdige Ehrung der Lehrerin und ihres Schülers zu realisieren. Und das dürfte ganz im Sinne des Verstorbenen sein. Denn, so Stabel, „Manfred Schnelle hat, vermutlich durch seine Ausbildung bei Marianne Vogelsang in Berlin, frühzeitig erfahren, dass man mit dem Tanzen etwas gestaltet, dass vom Menschen kündet, und nicht lediglich schöne Bewegungen zelebriert. Auch gegen das Vertanzen von Ideologien schien er durch diese frühe Prägung immunisiert zu sein. Die künstlerische Arbeit in der DDR führte ihn dann folgerichtig und zunehmend auch in andere Zeiten und an andere Orte als die etablierten Theater, in denen der sozialistische Traum choreografisch zu verwirklichen gewesen war. Manfred Schnelle tanzte in Kirchen und wandte sich der Vergangenheit, dem Dresdner Barocktanz, zu. Ein solches sich von der Gegenwart abwendendes Verhalten war für sensible Künstler in der DDR symptomatisch und ist heute, andere Persönlichkeiten betreffend, vielfach nachzulesen. Da sich Manfred Schnelle nun allerdings sein Leben lang mit dieser flüchtigsten aller Künste, dem Tanz, auseinandergesetzt hat, sind seine Werke und ihre Wirkungen beim Publikum heute nicht mehr oder kaum noch nachvollziehbar.

Hätte er Bleibendes geschaffen, wäre er heute sicher ein - für den tänzerischen Ausdruck seiner menschlichen Haltung - vielfach und hoch geehrter Künstler. Aber vielleicht hat ein im besten Sinne des Wortes ausgezeichneter Künstler all dies auch gar nicht wirklich nötig. Aber verdient hätte er es!“

„Ein Abend für Marianne Vogelsang und Manfred Schnelle“, am 29. und 30. September 2016, im Societaetstheater Dresden, im Rahmen des Bachfestes

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