„Folk-s Will you still love me tomorrow?“ von Alessandro Sciarroni

„Folk-s Will you still love me tomorrow?“ von Alessandro Sciarroni

Die Blase

Das Festival PNEU, Performing New Europe 2016, in Salzburg

Zum dritten Mal präsentierte die Szene Salzburg unter der Intendanz von Angela Glechner das biennale Festival PNEU, diesmal mit neun Produktionen von Künstlerinnen und Künstlern des europäischen Netzwerks apap aus Kroatien, Frankreich, Italien, Deutschland, Österreich, Polen, Finnland, Belgien, Spanien und Norwegen.

Salzburg, 25/01/2016

Es war als wehe der weltoffene Geist der Jahrtausendwende durch das Salzburger Festival Performing New Europe, kurz PNEU genannt. Angesichts der tagespolitischen Ereignisse, die selbst den Zerfall der Europäischen Union nicht mehr kategorisch ausschließen, glaubt man sich in einer temporären Blase aus Kunst. Durch Verträge und Förderungen mittelfristig geschützt kann PNEU die ursprüngliche Idee einer demokratischen Staatengemeinschaft leben, deren Zusammenschluss Frieden und Wohlstand bringen sollte.

Zum dritten Mal präsentierte die Szene Salzburg unter der Intendanz von Angela Glechner das biennale Festival PNEU, diesmal mit neun Produktionen von Künstlerinnen und Künstlern des europäischen Netzwerks apap aus Kroatien, Frankreich, Italien, Deutschland, Österreich, Polen, Finnland, Belgien, Spanien und Norwegen. Die Buchpräsentation über Lebens- und Arbeitsbedingungen von Tanzschaffenden „Let’s talk about work (and life)“ sowie Peter Stamers Workshop „Telling Pieces“ für Studierende der Salzburger Tanzakademie SEAD rundeten den dichten Veranstaltungsreigen ab.

Als Höhepunkte dieses ästhetisch, formal und handwerklich wohltuend soliden Festivals entpuppen sich die Arbeiten „An Iliad“ von Felix Mathias Ott und „Folk-s Will you still love me tomorrow?“ von Alessandro Sciarroni, denen es über die reine Materialrecherche hinaus gelang, historische Mythen und soziale Phänomene zu thematisieren.

Felix Mathias Ott verlebendigt in seinem Duett „An Iliad“ die antike Sage um das Trojanische Pferd dramaturgisch geschickt mit Hilfe des steten Umbaus seines imposanten Bühnensettings. Ein Holzverschlag wird zu Würfeln, aus einer Wand mit Neonröhren entsteht ein Baldachin, Gipskugeln mit Styroporkern schwingen wie Palastglocken oder Moleküle im Weltraum. Ohne die Figuren des Heldenepos in Erscheinung treten zu lassen, entstehen vor dem geistigen Auge des Publikums die zentralen Stationen der Erzählung, während man den Performern Ante Pavic und Maik Riebort bei der schweißtreibenden Arbeit zusieht. Die Kooperation der Männer verhakt das Geschehen im Heute. Wenn die beiden synchron schrauben, flexen, stemmen oder sägen, so zerspringen Klischees vom perfektionistischen Bastler und strategisch-gewitzten Welteroberer charmant in Holzabfall.

Um Klischees dreht sich auch „Folk-s Will you still love me tomorrow?“ des Italieners Alessandro Sciarroni. Sein Sextett über Brauchtum und Folklore beginnt unprätentiös als Endlosschleife aus Schuhplatteln, eines bayrisch-österreichischen Kreistanzes, den rhythmisches Stampfen und Klatschen auf Oberschenkel und Schuhsohlen charakterisiert. Die Bekanntgabe, wonach der Abend dann ende, wenn niemand mehr anwesend ist, erzeugt zuerst Spannung, wird jedoch im Zuge der ausführlichen Dekonstruktion des Bewegungsmaterials in Reihen-, Linien- und Schwarmformationen, die Bilder von Show, Fitness und Militär imaginieren, fast vergessen..., ehe der erste Performer geht. Es zählt zu den spannendsten Momenten des Abends, zu beobachten, wie dieser schlichte Abgang die Benimmregeln des bürgerlichen Theaters in die treibende Energie des Anfeuerns im Volkstanz überführt. Durch Klatschen und Zurufe nimmt das Publikum ab nun regen Anteil an den weiteren Abgängen. Als sich zuletzt nur noch Frau und Mann gegenüberstehen, poppt sogar Romantik auf, die das Schuhplatteln als Balz der Geschlechter ausweist.

Ivana Müller und Etienne Guilloteau, zwei weitere big player des Festivals, konnten die Erwartungen nur teilweise einlösen.

Ivana Müller, die gerne auf Meta-Meta-Ebene über das Theater philosophiert, lenkt in der Uraufführung „Edges“ den Blick auf den Backstage-Bereich. In Tableaux vivants konterkariert ihr sechsköpfiges Ensemble die ermüdenden Routinen von Filmtakes, Modeshootings oder Opernproben mit Projektionen über deren angebliche Schauplätze sowie mit assoziativen Dialogen aus dem Off. Trotz klarem formalen Aufbau und präziser Ausführung hinterlässt „Edges“ eine inhaltliche Leere, deren absichtsvolle Gesetztheit man der kroatischen Künstlerin nicht ganz abnimmt.

Etienne Guilloteaus „Zeit-Bild“ enthält aufs erste alles, was ein verantwortungsvolles Nachwuchstanzprojekt benötigt: spritzige Tänzerinnen und Tänzer der postgraduate Kompanie Sead Bodhi Project, ein engagiertes Ensemble Neue Musik sowie Kompositionen von Mozart, Feldman und Furrer. Einzig die Choreografie verfängt sich in einer braven Beziehung zur Musik, unschlüssig zwischen Abstraktion und Lebensphilosophie (Henri Bergson) pendelnd.

Die kleineren Arbeiten fallen durchwegs mit Ideenreichtum und Lust am Experimentieren auf. Andrea Maurer & Ewa Bańkowska jonglieren in „numbers in pieces“ lustvoll mit Zahlen, Nada Gambier setzt in „Untamed Thingliness“ humorvoll Saussures Zeichentheorie in Szene, Lisa Hinterreithner lässt es in „Lettings go of Things“ gehörig stauben, Maria Jerez beeindruckt in „Alma de Rímel & The Glammatics“ mit einer Mischung aus Liebreiz und Horror. Bezüge zur aktuellen Gegenwart fehlen dabei fast gänzlich. Auch bei Ingri Fiksdal, die in ihrem eindringlichem Quartett „Band“ die Gesichter und Körper der Performerinnen komplett mit bunt gemusterten Stoffen umwickelt und auf dämmriger Bühne wie in Trance wippen, pendeln und pulsieren lässt. Wieso Fiksdal die Verschleierung als ästhetische Kategorie inszeniert, ohne sie politisch zu hinterfragen, kann nicht nachvollzogen werden.

Zweifelsohne ist die Sprachlosigkeit in Bezug auf Gesellschaftskritik ein Statement. Hier spiegelt das Festival PNEU grundsätzliche Leerstellen. Verlässt man die temporäre Blase aus Kunst, so bleiben keine Antworten, nur Ratlosigkeit und diffuses Unwohlsein.
 

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