„multifil identity“

„multifil identity“

Alle anders, alle gleich, im Tanz befreit

„multifil identity“ von Bronislav Roznos in Dresden

Die mixed-abled Tanzperformance „multifil identity“ als Gewinn für das Tanzland Sachsen

Dresden, 17/06/2015

Wer dabei war, wird diesen Abend im Dresdner Hygienemuseum nicht vergessen. Dies gilt für die 22 tanzenden Akteure mit oder ohne Handicap, für die Live-Musiker, für den Mann mit der Live-Kamera, für die Techniker, alle Helferinnen und Helfer, vor allem aber für das Publikum, das am Ende diese Premiere des Tanztheaterprojektes von Bronislav Roznos, der auch als Tänzer dabei ist, begeistert feiert. Der Abend beginnt mit Brecht, mit seinem Gedicht vom kleinen Pflaumenbaum, den man an seinem Blatt erkennt, auch wenn ihm die Sonne fehlt, er nicht blüht und keine Früchte trägt. Ein Schauspieler eröffnet das Tanztheater, er wird als Live-Begleiter das Geschehen für blinde Menschen beschreiben.

Mit seinen knapp zwei Stunden ist dieser Abend lang, aber Längen hat er nicht. Bald spürt man, dass die Akteure je nach ihren Möglichkeiten auch unterschiedlich viel Zeit benötigen, um immer wieder in jenen Zustand der Freiheit zu gelangen, den ihnen die Bewegungen des Tanzes ermöglichen. Die Arten der Behinderungen der Akteure sind von unterschiedlicher Art. Da sind Rollstuhlfahrer, die mit rasanter Geschicklichkeit im Takt der Musik solistisch, im Duo, im Trio agieren. Da ist der Breakdancer, dem ein Junge mit seinen Hip-Hop-Varianten und einer Moonwalk-Passage heitere Konkurrenz macht. Dann eine große Gruppe – Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene – im Spiel der Hände von lyrischer Dynamik, die am Ende Unterschiede nicht aufhebt, aber so miteinander verbindet, dass die Bewegungen des Tanzes den jeweils gesetzten Akzenten folgen.

Darin liegen Größe und Besonderheit dieser multiplen Tanzperformance, deren Kraft aus der gegenseitigen Offenheit der Tänzerinnen und Tänzer kommt, die so aus dem Geben und Nehmen eine neue Qualität des Miteinanders entstehen lassen. Es sind immer wieder jene Augenblicke des Tanzes in seiner besonderen Art, die den Zwängen und der Vergeblichkeit des Alltags Sprünge, Schweben sowie Momente der Leichtigkeit des Seins entgegen setzen.

Da ist die Frau im elektrisch betriebenen Rollstuhl im Duett mit einem Tänzer; bald ist nicht auszumachen, wer wem folgt, wer den Weg, das Spiel, den Rhythmus bestimmt. So entstehen in der Spannung zwischen Distanz und Nähe, in der Kraft des gegenseitigen Aufhebens, in der Feier des besonderen Moments Bilder von zerbrechlicher Schönheit. Da ist die Tänzerin, der Tänzer, ein Paar, das schwer behinderte Kind im Rollstuhl. Ein Spaziergang im Sommer und bald ist nicht mehr auszumachen, wessen Energie hier wen beflügelt, wenn die Szene in einer atemberaubenden Rollstuhlpirouette gipfelt. Die blinde Tänzerin braucht ihren Stock nicht mehr; sie findet ihren Weg und den ihres Partners auch.

Im Verlauf des Abends wird die Energie des gegenseitigen Vertrauens immer größer; Tänzerinnen und Tänzer lassen sich fallen, denn sie wissen, ihre Partner fangen sie auf, um sie gleich darauf wild und übermütig durch den Raum zu wirbeln. Ein Rollstuhlfahrer, dem beide Beine fehlen, verlässt sein Hilfsmittel der Bewegung – gemeinsam mit seinem Tanzpartner kann er abheben.

Einer der längsten und intensivsten Beiträge ist das Duett eines erwachsenen Tänzers mit einem geistig und körperlich schwer behinderten Jungen. Langsam lässt sich der Junge auf die Angebote ein, langsam beginnt sich sein Körper aus den ruckartigen Bewegungen zu befreien um in leichte Schwingungen zu geraten. Langsam verschwimmen die Unterschiede und weil wir hier so etwas wie visionäre Augenblicke erleben, werden diese Szenen in verfremdeter Form in einer Videoinstallation in das Dresdner Stadtbild projiziert.

Immer wieder fröhliche Improvisationen der ganzen Gruppe. Ein Clownstrio mafiöser Rollstuhlfahrer leitet das Finale ein, bei dem sich alle die Clownsnase aufsetzen und ihrer Lust an der Bewegung freien Lauf lassen. Jeder Mensch sei Tänzer, so der Choreograf John Neumeier. Der Choreograf und Tänzer Bronislav Roznos tritt mit seinem Tanztheater als getanzte Erweiterung der Horizonte des Alltags den Beweis an.

Die sozialen Aspekte haben durchaus ihre Berechtigung, hier kommt jedoch ein ungewöhnlich mutiger und vor allem künstlerischer Aspekt dazu. So wie es der Titel verheißt, ist es gelungen, aus den vielen, unterschiedlich starken Fäden ein buntes Netz zu knüpfen. Die Schirmherrin dieses Projektes, die Sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Eva-Maria Stange, ist sichtlich bewegt; für sie ist es faszinierend, wie bunt unsere Welt ist und wie toll Menschen tanzen können. Dem ist nichts hinzuzufügen.

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