Nachts sind alle Katzen bunt und schillern

Alfredo Zinola beflügelt mit „Nero“ die Fantasie von zwei- bis fünf-Jährigen

In seinen bisherigen Arbeiten hat sich der Folkwang-Absolvent und ausgebildete Anthropologe mit interkulturellen Themen beschäftigt und den Körper in seinen sozialen Gefügen choreografisch erforscht.

Berlin, 20/03/2015

Als der hellwache Fonds mitten in der Nacht seinen Vater weckt, um nicht alleine in der Dunkelheit spazieren zu gehen, stößt er auf Unverständnis: „Nachts wird geschlafen“, da gäbe es nichts zu sehen. Doch die Collagen in Wolf Erlbruchs Bilderbuchkleinod „nachts“ beweisen das Gegenteil. Sie zeigen, was Kinderaugen alles in der Dunkelheit entdecken, wenn die Farben verschwinden und die Welt nur noch in Umrissen sichtbar ist: Im blassen Schein des Mondlichts zeichnen sich dann plötzlich freundliche Gesichter in Baumwipfeln ab oder erinnern Wolken an fliegende Riesenerdnüsse.

Der Dunkelheit und ihrem kindlichen Fantasiepotenzial widmet sich auch Alfredo Zinola mit seiner Tanz-Performance „Nero - ein Schritt zusammen ins Dunkle Blau“. In seinen bisherigen Arbeiten hat sich der Folkwang-Absolvent und ausgebildete Anthropologe mit interkulturellen Themen beschäftigt und den Körper in seinen sozialen Gefügen choreografisch erforscht. Seit 2013 sucht er nach Möglichkeiten, Körper objektiv auf der Bühne agieren zu lassen. Das zeigt auch „Nero“, in dem nicht Menschen die Hauptdarsteller sind, sondern abstrakte Gebilde, die aus dem Zusammenspiel von Körper-, Bewegungs-, Licht- und Kostümmaterial entstehen.

In elegant schillernden, dunklen Paillettentrikots stehen Alfredo Zinola und sein amerikanischer Performer-Kollege Maxwell McCarthy am Rand der mit schwarzen Stoffbahnen verhangenen Bühne – ein experimentelles und geheimnisvolles Fantasiebeflügelungskabinett, in das sie etwa 20 Kinder zwischen zwei und fünf Jahren und deren Betreuerinnen behutsam hineinführen. Mit dem orangen und weißgelben Licht zweier Straßenlaternen tasten die Performer die Wände des Raumes ab. Assoziationen zu Sonnenunter- und Mondaufgängen oder zu Satelliten, die den nächtlichen Himmel streifen, werden freigesetzt. Dabei umkreisen die Performer in ruhigem Tempo und mit synchronen Bewegungen die ZuschauerInnen wie Zwillingsplaneten eine unbekannte Sonne.

Der kontemplative und beinahe schwerelos anmutende Raumrhythmus bleibt auch dann noch erhalten als die Performer den Wahrnehmungsradius der kleinen Zuschauer verengen, indem sie dichter an diese herantreten. Im blau-weißen Schein zweier Taschenlampen werden in gleichbleibendem Tempo persönliche Details freigelegt: Schuhe, Hände, Hosenbeine. Dieses körpernahe Detektiv- und Selbsterkennungsspiel befriedigt die kindliche Entdeckerlust und gibt den Kindern Sicherheit: in der Dunkelheit, in der sich alles Beständige aufzulösen scheint, sind ihre Körper eine verlässliche Konstante.

Es ist eine faszinierende Zwischenwelt, die den Kindern mithilfe ihrer jeweils individuellen Wahrnehmung in „Nero“ eröffnet wird. So auch besonders im zweiten Teil des Stücks, in dem die Performer die Pailletten ihrer Kostüme aus verschiedenen Distanzen heraus und mit unterschiedlichen Bewegungsrhythmen beeindruckend in Szene setzen: Taschenlampen suchen sich ihre Projektionsfläche dann nicht mehr nur auf Wänden und Böden, um kaleidoskopartige Muster aufzuwerfen. Sie schlüpfen auch schon mal unter die halbtransparenten und wie Zeltwände vor den Körpern der Performer aufgespannten T-Shirts, um darunterliegende Paillettenhemden in sanft glitzernde Bergkristalle zu verwandeln.

Mit viel Erfindergeist und dem nötigen Bewegungs-Know-How zaubern Alfredo Zinola und Maxwell McCarthy einen nächtlichen Ort auf die Bühne, in dem die Fantasie der Kinder – wie der kleine Fonds in Wolf Erlbruchs Kinderbuch – spazieren geht. Auch die kleinsten Zuschauer werden so auf behutsame Weise mit aktuellen performativen Verfahren des zeitgenössischen Tanzes vertraut gemacht. Dabei verfolgt Zinola auf äußerst spannende Weise seine Idee von einer Bühnenkörperästhetik, die sich vom Subjekt zu distanzieren sucht und die Aktion selbst in den Vordergrund stellt.

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