Katja Erfurths Hommage an Dore Hoyer im Festspielhaus Hellerau
Katja Erfurths Hommage an Dore Hoyer im Festspielhaus Hellerau

Wenn ein Finger die Welt bewegt

Katja Erfurths „Tänze in Schwarzweiss“ als bewegende Hommage an Dore Hoyer

Wie stark die Arbeiten dem Geist der Dore Hoyer verbunden sind, wird deutlich, wenn Katja Erfurth mit den kurzen Stücken „Angst“ und „Liebe“ aus dem Zyklus „Affectos Humanos“ höchst sensibel vermittelt, wie groß der Unterscheid ist zwischen „Nachmachen“ und „Nachempfinden“.

Dresden, 30/05/2014

Die Tänzerin und Choreografin Dore Hoyer wurde 1911 in Dresden geboren. Sie erhielt in Hellerau Gymnastikunterricht, absolvierte eine Tanzausbildung bei Gret Palucca, kreierte bald erste Soloabende, nahm kurzfristige Engagements an Theatern an, gründete 1940 in der ehemaligen Schule von Mary Wigman in Dresden eine eigene Tanzgruppe. Sie verließ Dresden 1948 endgültig, wurde Solotänzerin und Ballettmeisterin an der Staatsoper in Hamburg, wo sie aber mit ihren Ideen vom zeitgenössischen Tanztheater scheiterte. Zeitweise war sie als Schauspielregisseurin erfolgreicher als auf der Tanzbühne. Waren ihre Tourneen mit Soloabenden in den 50er Jahren in den USA und in Südamerika erfolgreich, so ließ das Interesse an ihrer Kunst in Deutschland mehr und mehr nach. Zudem verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand immer stärker. 1967, nach ihrem letzten Soloabend im Berliner Theater des Westens, zu dem lediglich gut 100 Zuschauer kamen - für Dore Hoyer eine bittere Enttäuschung - dazu ein immenser Schuldenberg, wusste sie, dass ihr Tanz zu Ende ist. In der Silvesternacht 1967/1968 setzte sie ihrem Leben ein Ende.

Die Beschäftigung mit dem Werk von Dore Hoyer hat nie aufgehört. Man spricht davon, dass mit ihr als letzter Vertreterin des deutschen Ausdruckstanzes diese Tradition des modernen Tanzes zu Ende ging. Der Tanzkritiker Horst Koegler hatte zum 90. Geburtstag von Dore Hoyer in seinem Journal auf tanznetz.de darauf hingewiesen, dass sie „keine Vorbotin des heutigen Tanztheaters“ war, „aber in ihren Choreographien zeigte sie Möglichkeiten eines modernen Tanzes auf, die erst nach ihrem Tod wieder zur Geltung kamen.“ Im gleichen Text wird sie als „eine Frau, die in Extremen lebte und die Extreme tanzte“ charakterisiert. „Völlige Abstraktion der choreographischen Struktur und zugleich tiefste emotionale Ausformung kennzeichnen ihre Tänze“.

Abstraktion und Emotion sind auch die beiden Pole zwischen denen die Dresdner Tänzerin Katja Erfurth einen wunderbaren Bogen spannt in ihrem neuen Soloabend „Tänze in Schwarzweiss“, den sie Dore Hoyer gewidmet hat und dessen erfolgreiche Premiere im großen Saal des Festspielhauses in Hellerau stattfand. Mit dem Pianisten Camillo Radicke und dem Schlagwerker Sascha Mock hat sie höchst einfühlsame Partner, von Falk Dittrich sind die sensiblen Lichtstimmungen.

Der Abend beginnt und endet mit eigenen Choreografien zu Musik von Maurice Ravel, zunächst in der frühen Klavierfassug „Pavane pour une infante défunte“, zum Abschluss in einer Fassung für Klavier und Schlagwerk der berühmte „Boléro“.

Wie stark diese Arbeiten dem Geist der Dore Hoyer verbunden sind, wird deutlich, wenn Katja Erfurth mit den kurzen Stücken von ihr - „Angst“ und „Liebe“, zwei mit Susanne Linke erarbeiteten Rekonstruktionen aus dem Zyklus „Affectos Humanos“ zu Kompositionen von Dimitri Wiatowitsch - höchst sensibel vermittelt, wie groß der Unterscheid ist zwischen „Nachmachen“ und „Nachempfinden“.

Das Angstthema wird dann wieder in einer eigenen Kreation von Katja Erfurth zu drei Präludien aus Bachs wohltemperiertem Klavier in einer raumgreifenden Fluchtbewegung aufgenommen. Die an fernöstliche, minimale Motive erinnernden Haltungen aus Dore Hoyers Stück „Liebe“ werden zur Musik Bachs in der völligen Zurücknahme des Körpers assoziiert. Die Tänzerin hockt in kauernder Haltung, das Gesicht unter den Haaren verborgen. Lediglich die Hände in filigransten Bewegungen und zeichenhaften Bildern vermitteln etwas von der Kraft des Tanzes, die es möglich macht, mit Fingerspitzen Welten zu bewegen.

Mit dezentem Humor im Reifrock, der sich schon mal so gut wie eigenständig bewegen kann, in dem es möglich ist den Körper in figürliche Absurdität zu führen, interpretiert Katja Erfurth fünf musikalische Miniaturen für Schlagwerk von Karsten Gundermann, die zudem an diesem Abend uraufgeführt werden.

Schwarz und Weiss sind zwar die bestimmenden Farben der Bühne und der Kostüme von Magdalene Buschbeck, aber die Zwischentöne der Musik und der körperlichen Emotionen finden ihre Entsprechungen in einer Reihe von Grautönen. Es wird auch mit Licht und Schatten gearbeitet. Als bildhafte Einstimmung auf das Anliegen dieser Hommage an eine große Tänzerin erscheint Katja Erfurt zur ersten Musik, jenem Erinnerungsstück von Ravel, das er nie als Todesmusik verstanden wissen wollte, zunächst als Schattenbild - sie verdoppelt sich und tritt dann ins Licht der Bühne und aus dem Schatten heraus. An anderer Stelle wird sich ihr Schatten vervielfachen, was sich als beeindruckende Assoziation auf die subversive Wirkung der Tanzkunst beziehen lässt. Und am Ende, zu Ravels „Boléro“, kommen noch einmal viele Motive des Abends zusammen, so wie das Stück ja auch nur ein Thema variiert, so variiert Katja Erfurth, jetzt im roten Kleid vor rot ausgeleuchteter Opera, Minimalismus und raumgreifende Bewegung. Sie muss dazu ihren Platz so gut wie kaum verlassen und dennoch ist die große Bühne des Festspielhauses erfüllt von der Zerbrechlichkeit jener Tanzkunst, die aus der Stille kommt, deren wortlose Schreie aber unüberhörbar sind, deren hohe Konzentration ein großes Geschenk ist.
 

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