„Tauberbach" von Alain Platel
„Tauberbach" von Alain Platel

Über jede Abgrenzung hinweg

„Tauberbach“ von Alain Platel in den Münchner Kammerspielen

Platels „Tauberbach“, eine Koproduktion mit den Ballets C de la B und weiteren belgischen und französischen Theatern/Veranstaltern, hatte im Schauspielhaus Uraufführung. Ein einsames Buh wurde vom euphorischen Schlussjubel überbrandet.

München, 20/01/2014

Was eigentlich ist Theater? Schau-Spiel? Text und dessen Verlautung? Oder sprechende Bewegung? Der Belgier Alain Platel, international renommierter Choreograf und Regisseur, setzte sich bereits 1984 mit Gründung seiner Ballets Contemporains de la Belgique, kurz Les Ballets C de la B (für die er seit 2003 nur noch als Gast arbeitet), über jede Abgrenzung hinweg. So jemand ist natürlich bei dem jede Art von Grenzgang und interkulturellem Projekt pflegenden Münchner-Kammerspiele-Intendanten Johan Simons hoch willkommen. Jetzt hatte Platels „Tauberbach“, eine Koproduktion mit den Ballets C de la B und weiteren belgischen und französischen Theatern/Veranstaltern, im Schauspielhaus Uraufführung. Ein einsames Buh wurde vom euphorischen Schlussjubel überbrandet.

Ganz offensichtlich goutierte das Publikum den eklektischen und wild anarchischen Stil, wie er für die Truppe charakteristisch ist. Im Zentrum des Abends steht die Schauspielerin Elsie de Brauw, die sich die Rolle der überlebenskämpferischen schizophrenen Müllkippen-Queen Estamira wünschte (Platels Vorlage war die Dokumentation des Filmers Marcos Prado über die Brasilianerin „Estamira“): „I am perfect“, beharrt sie auf ihrem Außenseiter-Dasein. Das Leben im Müll sei giftig, aber sie sei gerne hier. „I am fine.“ Um sie herum fünf Tänzer: vielleicht Mitbewohner? Ihre psychisch kranken Schatten? So genau nimmt es Platel nicht. Eineinhalb Stunden lang waten, rennen und werfen sie sich in die chaotische Hügellandschaft aus Altkleidern. Während durchgehend verschiedene Bachmusiken zugespielt werden, des öfteren die Einstudierung des Polen Artur Zmijewski von Bachschen Chorwerken mit Schwerhörigen und Gehörlosen (daher der Titel „Tauber Bach“).

Bach in merkwürdig unmelodischer Verfremdung – Platels Botschaft ist nur zu eindeutig: die Abweichung, das Dissonante, das Unperfekte hat seine existenzielle Berechtigung. Hat seine eigene Schönheit. Diese andere Schönheit will Platel, neben seiner künstlerischen Arbeit Orthopädagoge für behinderte Kinder, auch im Tanz zeigen. Davor Respekt. Und freie Bewegungsabläufe, wie bizarr auch immer, sind ja Berufsalltag für diese Improvisations-geschulten Tänzer. So bäumen sich hier ihre Körper in (scheinbar) unkontrollierter Muskelspannung auf, zucken und krampfen solo oder übersetzen als chaotisch dissoziiertes Quintett den morbid-hohlen Gehörlosen-Gesang. Und es passiert, was gerade hier nicht passieren dürfte! Der Tanz entwickelt eine Virtuosität des Spastischen – von Romeu Runa als faunischem Neo-Nijinsky auf die Spitze getrieben –, die das Herz kalt werden lässt. Der durchgehende spastische Bewegungsduktus bewirkt letztlich auch eine Monotonie. Vereinzelte Solo-Aktionen wie Ross MacCormacks rasend ins Mikro abgeschossener Dada-Lautmonolog machen da wohl aufmerksam, schmücken aber eher, als dass sie in die Tiefe des Themas vordringen. Für die Protagonistin Elsie de Brauw – leider nur mit dürftigem, ihrer Darstellungskraft nicht angemessenem Text bedacht – mag der Probenprozess, das Einbezogensein in einen choreografierten Ablauf, eine bereichernde Erfahrung gewesen sein. Im besten Falle hat „Tauberbach“ dem traditionellen Schauspiel-Publikum einen Zugang zum Genre Tanztheater verschafft. Diejenigen, die seit den 70er Jahren Pina Bauschs subtile Stücke oder auch die von Nachfolgern wie die in Montpellier wirkende Mathilde Monnier gesehen haben, waren enttäuscht.

weitere Vorstellungen vom 11. bis 22.2. (nicht am 20.2.), 20 Uhr
 

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