„Cacti“ von Alexander Ekman

„Cacti“ von Alexander Ekman

Der schwindelerregende Schauder der Exaktheit

„Drei Farben: Tanz“ in Dortmund

Was für ein himmlisch-hintergründiges Vergnügen!

Dortmund, 11/11/2013

„Leichtigkeit“ proklamiert Xin Peng Wang als Thema seines Ballett Dortmund für diese Saison. Das Schwere federleicht aussehen zu lassen - für welchen Tänzer wäre das nicht die Maxime täglicher Exercises und abendlicher Auftritte. Wenn dann noch dazu der von William Forsythe theatralisch seufzend beschworene „schwindelerregende Schauder der Exaktheit“ Platz greift, steht schier alles auf dem Prüfstand. Bei der Premiere von „Drei Farben: Tanz“ galt es, drei durchaus unterschiedliche Handschriften exakt zu dechiffrieren und tänzerisch perfekt zu präsentieren.

Eine Uraufführung steht am Beginn des Dreiteilers, Douglas Lees „PianoPiece“ auf das „Portrait of Hedwig“ für Piano mit Passagen für präpariertes Klavier des Niederländers Jurriaan Andriessen. Vier wuchtige Konzertflügel stehen auf der riesigen Dortmunder Opernbühne. Dazwischen und obendrauf vollführen drei Tänzerinnen und vier Tänzer ihre Kunst zu der teilweise geradezu sakral anmutenden Musik technisch vertrackte Rituale, die nur einer erfinden kann, der selbst tanzt - eben der Stuttgarter Principal Dancer aus England. Wie Gummipuppen oder Marionetten an unsichtbaren Fäden biegen und winden sich die Figuren, staksen durch den Raum. Weit gespreizt und nach hinten gebogen sind die Finger. Ab und an ragt jemand aus einer Luke im Bühnenboden oder verschwindet in der Versenkung. Verhaltenheit bis hin zu Slow Motion, Dynamik und temporeiche Sequenzen wechseln einander ab, bis alle Bewegung, die Lichtbündel und Strahlenreihen, der Klang mit einem lang nachhallenden Paukenschlag vergehen.

Es folgt Forsythe mit seinem „Vertiginous Thrill of Exactitude“ von 1996 - ein Bravourstück für drei Tänzerinnen in schrillen Kanarienvogel-gelben Tellertutus und für zwei Tänzer in kurzen, roten, rückenfreien Latzhosen. Das furios dahin galoppierende Finale (Allegro vivace!) von Franz Schuberts „Großer Sinfonie“ ist für jedes Spitzenorchester eine Herausforderung an das Zusammenspiel innerhalb der Instrumentengruppen und „Tutti“. Das auch noch tanzen? Kaum vorstellbar an einem mittleren deutschen Theater. Aber mit geradezu verschmitztem Grinsen fegt Primaballerina Monica Fotescu-Uta vor und zurück, dreht Pirouetten, vollführt schönste Arabesken und Fouettés - mit einer augenscheinlichen Leichtigkeit und Präzision wie sie den anderen (an dem besuchten Abend) noch nicht immer gelingt.

Beim Rausschmeißer „Cacti“ von Alexander Ekman prunken am Ende inmitten eines Bergs aus Holzpodesten und Menschen 16 stachelige Kakteen in unterschiedlichsten Formen und Grünschattierungen. Für NDT II kreiert von dem einstigen Mitglied der niederländischen Juniortruppe ist das Ensemblestück spielerisch entstanden - als Zusammenspiel von Kammermusikern und den jungen Tänzern. Herausgekommen ist ein raffiniertes, rätselhaftes, witziges Stück. Schwer zu sagen, wer hier mehr brillierte: die minutiös „abgerichteten“ Tänzer-Akrobaten - jeder ein „Unikat“ - oder die Haydn, Beethoven und Schubert streichend über die Bühne wandernden Kammermusikvirtuosen Alexander Prushinskiy und Frank Rudolph (Violinen), Roman Nowicki (Bratsche) und Franziska Batzdorf (Cello). Makaber beginnt's zu Ausschnitten aus Haydns Sonatenzyklus „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“: im Halbdunkel scheinen sich Gestalten aus Grabplatten zu erheben. Bei Licht besehen sind es aber unterschiedlich hohe Podeste, wie sie z.B. Dirigenten benutzen. Behende werden sie hierhin und dorthin gedreht und hochkant gestellt, in Diagonalen gereiht, gestapelt und schließlich - zum Variationssatz aus Schuberts Quartett „Der Tod und das Mädchen“ zum Tableau mit Menschen und Pflanzen aufgetürmt. Was für ein himmlisch-hintergründiges Vergnügen!
 

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