Bravourstück aus der Black Box

Eine Uraufführung von bemerkenswerter Qualität: „Mirrors“ von James Sutherland, Robert Eikmeyer und dem Ballett Pforzheim

Pforzheim, 13/06/2013

„Hallo! How are you?“ – während sich die Zuschauer-Augen ans Dunkel gewöhnen, er sich vorsichtig in die Black Box tastet, wird er von einer menschlichen Attrappe begrüßt. Die lebensgroße Puppe liegt bäuchlings am Boden, über ihr eine Matratze. Eine Lage, die unbequem, vielleicht misslich, aber nicht aussichtslos, auf jeden Fall rätselhaft ist.

Das Produktionsduo des Pforzheimer Balletts, James Sutherland und Robert Eikmeyer gewährt dem Betrachter des Stückes „Mirrors“ einen Blick in Abgründe, je tiefer, desto dunkler. Ein surrealer Kosmos aus traumwandelnden Tänzern, bewegten Projektionen und Räumen, die sich in schroffen Lichtwechseln aufzulösen scheinen. Nuancen des Finster-Dunkels, wie ihn die Kunstmalerei im Tenebrismus des 16. Jahrhunderts kultiviert hat und der die Meisterschaft eines Caravaggio ausmacht, verfeinert im 17. Jahrhundert vom Niederländer Rembrandt. Zitate der Avantgarde des 20. Jahrhunderts flackern auf, kurze Begegnungen mit „Le Sang d'un poète“, dem Poetenblut von Jean Cocteau, mit den silbernen Glitzerkissen-Wolken eines Andy Warhol, mit der performativen Stringenz des sich gegenseitig und spiegelbildlich reflektierenden Duos Ulay-Abramovic.

Licht, Tanz und Projektion, alles ist sehr subtil verwoben mit Musikzitaten, dem achten Streichquartett von Dmitri Schostakowitsch. Die Lust, das (Lebens-)Ende mit drei Largo-Sätzen zu verzögern, zuvor im Allegretto mit einer Prise Humor zu würzen, um der Vitalität Nachdruck zu verleihen, ist augenfällig. Adele („Some like you“), Lana del Ray („Video Games“), Marilyn Manson („Sweet Dreams“, „Count to six and die“), Nine Inch Nails („Hurt“) sowie Max Richter & Dinah Washington („This bitter Earth“) sind Pendant des 21. Jahrhunderts zur Komposition von Schostakowitsch, Selbstzeugnissen zufolge übrigens kein „Gedenken an die Opfer des Faschismus und des Krieges“ (was die Sowjetmacht dem Werk nachträglich zuschrieb), sondern ein Requiem auf sich selbst.

Handreichungen für nachtschwarze Abgründe gibt es von keinem Geringeren als Georg Wilhelm Friedrich Hegel: „Der Mensch ist diese Nacht, dies leere Nichts, das alles in ihrer Einfachheit enthält, ein Reichtum unendlich vieler Vorstellungen, Bilder, deren keines ihm gerade einfällt oder die nichts als gegenwärtige sind“, so der Philosoph. „Dies die Nacht, das Innre der Natur, das hier existiert – reines Selbst“, schreibt Hegel, der in der Nacht phantasmagorische Vorstellungen wahrnimmt: „Hier schießt dann ein blutiger Kopf, dort eine andere weiße Gestalt plötzlich hervor und verschwindet ebenso“. Diese Nacht erblicke man, wenn man „dem Menschen ins Auge blickt – in eine Nacht hinein, die furchtbar wird; es hängt die Nacht der Welt hier einem entgegen.”, so wichtigste Vertreter des deutschen Idealismus in seiner „Jenenser Realphilosophie“ (1805/1806).

Von der Selbsterkenntnis jenseits diskursiver Logik handelt das bravouröse Tanzstück an der Schnittstelle von Musik, Tanz und Philosophie, bei dem das Publikum schon bei der Platzsuche sensibilisiert wird für die Nacht der Welt. Einfach grandios! Schade, dass sich die Großkritik so selten in der Pampa blicken lässt, wo ein Stück wie dieses zwar dreizehnmal aufgeführt wird, aber kaum über Pforzheim hinaus kommt.
 

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