Rasender Ballettreporter: besessen, leidenschaftlich, streitbar

Ein Nachruf von Nina Hümpel auf den Ballettblogger Horst Koegler

München, 11/05/2012

Ich muss zugeben, dass ich skeptisch war, als sich Anfang des Jahres 2001 Horst Koegler bei mir meldete und erklärte, dass er gerne mitmachen würde bei tanznetz.de. Ein Online-Tagebuch schwebte ihm vor, in dem er regelmäßig schreiben wollte über Tanz auf den Bühnen und hinter den Kulissen, über Tanz auf DVD oder im Fernsehen, über Tanzliteratur und Tanzpolitik.

Ob er nicht zu alt wäre für dieses Medium? Naja, nach kurzer Zeit schon belehrte er mich eines besseren. Reiste und schrieb wie ein Besessener und ließ trotz starker Schmerzen und einsetzender Alterserscheinungen keine noch so beschwerliche Reise nach St. Petersburg oder Kopenhagen aus, um über wirkliche Balletthighlights berichten zu können. Suchte nach Vorstellungen in Russland unter widrigen Umständen Internetcafes auf, um noch in der gleichen Nacht die Kritik dort fertig zu schreiben und ans tanznetz.de zu übermitteln. Wehe, wenn der koeglerjournal-Beitrag morgens um 9.00 Uhr noch nicht fehlerfrei online war, dann gab es weitere Emails aus Internetcafes. Leidenschaftlich waren seine Journale immer, ob positiv oder negativ, er vertrat seinen Standpunkt laut und deutlich. Er erfreute und verärgerte Choreografen gleichermaßen. So kontinuierlich und kenntnisreich er über das Ballett berichtete, so neugierig war er auf alles Neue, das sogenannte Zeitgenössische. So sehr er über Meg Stuart schimpfte, so sehr konnte er sich für Thomas Lehmen oder Helena Waldmann begeistern.

Die Idee, dass man im Internet unter seinen Journalen Kommentare anhängen könnte, ja gar ihm an dieser Stelle widersprechen und diskutieren könnte, fand er großartig. Leider fand diese Art des Austausches erst in den letzten Monaten statt, entweder weil seine Leser zu alt für diese Technik waren oder die Ehrfurcht zu groß. Wer in den letzten Jahren Koegler lesen wollte, der musste ins Internet zu tanznetz.de gehen. Zahlreiche seiner Anhänger kamen erst nach Jahren auf diesen wunderbaren kostenlosen Service ihres Kritikers, den er seinen Lesern bot, ohne je für Reisekosten oder Aufwand entschädigt zu werden.

Schnell, spontan und unglaublich unkompliziert arbeitete er Tag für Tag für sein koeglerjournal. Man kann ihn mit Fug und Recht als einen frühen Erfinder der Tanz-Weblogs bezeichnen. Was seine Offenheit für das neue Medium Internet, seine Schnelligkeit im Publizieren der Blogs und seinen kontroversen Stil betraf, hatte tanznetz.de niemals einen „jüngeren“ Mitarbeiter als Horst Koegler, genannt oe, es war. Er hat uns schon lange auf seinen sicher bald eintretenden Tod vorbereitet, jeden angekündigten Festivalbericht bestens gelaunt mit den Worten „wenn ich denn dann noch lebe“ angekündigt. Noch vor wenigen Wochen feierte die Staatliche Ballettschule Berlin die Übergabe der Horst-Koegler-Bibliothek und Koeglers 85. Geburtstag. Hier saß Horst Koegler noch mit Prof. Dr. Ralf Stabel und Prof. Gregor Seyffert auf der Bühne und erzählte gelebte Tanzgeschichte. Nun ist er fast so gestorben wie er wollte: aus dem prallen Leben mit voller Teilhabe an der großen Ballettwelt, die er so sehr liebte. Und dennoch trifft uns sein Tod sehr! Danke für die schöne gemeinsame Zeit!

Email von Horst Koegler an Nina Hümpel vom 29.04.08

LIEBE LADY N.

na ja, dann schicken Sie mir mal den Herrn Presser! Leider geht es mir ganz und gar nicht gut - und ich befürchte jedesmal, wenn ich meine Wohnung verlasse, auf der Strasse zu stürzen und im Krankenhaus zu landen. Kann man nichts machen. Wenigstens weiß ich jetzt, woran ich leide: Schlafapnoe - können Sie ja dann in meinen Nachruf aufnehmen: starb an Schlafapnoe.

Vorher gehe ich aber morgen noch nach Ludwigsburg zu Sylvie Guillem und Akram Khan, am Samstag in Essen zu Pipi soundso, am Sonntag in Berlin in den Friedrichstadtpalast, am Montag in Berlin in die Staatsoper zu Busonis Dr. Faust, am Dienstag bis Donnerstag in ein superschickes neues Hotel in meiner Geburtstadt Neuruppin, und am Freitag zur Béjart-Premiere in Wolfsburg. Wie gesagt: wenn ich nicht vorher auf der Intensivstation in irgendeinem Krankenhaus gelandet bin. Haben Sie sich eigentlich schon mal überlegt, wer dann mein Nachfolger werden könnte? (hier kommt eine Bosheit, die die Redaktion nicht veröffentlicht) Hope, you are well and kicking, Ihr oe

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