Zwischen den Systemen

Ein Buch über Mary Wigmans Leipziger Jahre

Berlin, 01/07/2006

Als Mary Wigman im Frühling 1942 nach Leipzig übersiedelte, lag eine so beglückende wie zermürbende Zeit hinter ihr. Mehr als 20 Jahre hatte sie ab 1919, neben dem Tourneealltag der Tänzerin, in ihrer Privatschule an der Bautzener Straße erfolgreich Schülerinnen im Ausdruckstanz unterwiesen. Manchen gelang später der Sprung in die Berühmtheit. Wigman selbst, Begründerin, Große Mutter und Hauptexponentin der neuen Tanzbewegung, geriet nach anfänglicher Konkordanz zunehmend in Widerspruch mit den braunen Machthabern, wurde durch ihre eigenen Mitarbeiter aus der Schule intrigiert. Gastweise durfte sie an der Leipziger Hochschule für dramatische Kunst lehren, führte dann ein eigenes Studio, schrieb durch ihre Einstudierungen von „Carmina burana“ und „Orpheus und Eurydike“ an der Leipziger Oper Theatergeschichte. Alle Bemühungen jedoch um eine Tanzhochschule schlugen in schwerer Zeit fehl. 1949 folgte sie den Lockungen nach Berlin.
Ein 1994 herausgegebenes, broschiertes Kompendium beleuchtete Wigmans wenig bekannte sieben Leipziger Jahre und erschien nun, leider unredigiert, als „Mary Wigman. Eine Künstlerin in der Zeitenwende“ in karmesinrot gebundener Buchedition. Knapp 20 Texte, von einer ausführlich wertenden Introduktion und Wigmans Selbstaussagen bis zu Interviews mit Zeitzeugen, sowie über 50 Fotos und Faksimiles geben anregend Auskunft und dokumentieren umfassend ein Kapitel Tanzgeschichte. Dabei beeindrucken Wigmans beste Essays durch Sprachgewalt ebenso, wie ihre ungeschönten Tagebucheinträge der Leipziger Ära berühren. Sehr persönlichen, wohltuend differenzierenden, auch Wigmans Einfluss auf den heutigen Tanz befragenden Aufschluss bieten die Gespräche mit ehemaligen Schülern. Eine Zeittafel zu Wigmans Leipziger Aktivitäten, Anmerkungen und Literaturhinweise komplettieren einen nützlichen, grafisch klar gestalteten Band, der sich ergänzend bisherigen Wigman-Publikationen zuordnet.


Angela Rannow und Ralf Stabel (Hrsg.): Mary Wigman. Eine Künstlerin in der Zeitenwende. Tanzwissenschaft e.V., Dresden 2006, 175 Seiten, 19,95 Euro

 

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