Die Tänzerin, Bildhauerin und Nazigegnerin ODA SCHOTTMÜLLER 1905-1943

Eine Publikation von Geertje Andresen

Berlin, 04/06/2006

Diese Publikation möchte man nicht aus der Hand legen. Sie folgt dem individuellen und künstlerischen Lebensweg der eigenwillig suchenden Doppelbegabung einer jungen Frau, die, früh auf sich allein gestellt, über viele Umwege ihren persönlichen Weg als Künstlerin geht. Oda Schottmüller war offensichtlich keine dezidiert politisch geprägte oder interessierte Frau, wohl aber ein frei denkender Mensch mit wachem Blick für das konfliktreiche gesellschaftliche Umfeld, in dem sie nach ihrem Platz suchte. Geertje Andresen (bis 1995 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand) nennt ihre umfangreich gegliederte Publikation „Oda Schottmüller – ein Lebensbericht“. Als Mitarbeiterin an der umfangreichen Ausstellung „Die Rote Kapelle“ (1992) bemerkte sie ein Rezeptionsdefizit in Bezug auf diese junge Künstlerin in der bundesdeutschen Geschichtsschreibung. Sie macht sich auf eine Spurensuche, studiert neue Quellen und lässt den Leser Seite für Seite teilhaben an ihrem Interesse an dieser talentierten und fantasiebegabten Frau, die sich bis an ihr gewaltsames Lebensende menschlich und künstlerisch behauptet. Die Autorin zielt dabei absichtsvoll auf das Singuläre als Teil der Zeitgeschichte. Über die Beziehung zu dem kommunistischen Bildhauer Kurt Schumacher kam Oda Schottmüller Ende der 30er Jahre in Kontakt mit dem Berliner Freundes- und Widerstandskreis um Harro Schulze-Boysen, in dem gefeiert, freimütig künstlerische wie politische Fragen diskutiert, gefeiert und zugleich Informationen ausgetauscht, ausländische Sender gehört, Verfolgten geholfen und Aktionen gegen die Nazidiktatur vorbereitet wurden. Dies war zugleich Resultat eigener künstlerischer Überzeugungen wie Reflex auf gesellschaftspolitische Veränderungen im faschistischen Deutschland speziell in Berlin der 30er Jahre. Im Spätsommer 1942 verhaftete die Gestapo Harro Schulze-Boysen, Kurt Schumacher, Arvid Harnack, Oda Schottmüller und etwa 120 weitere Personen. Die Gestapo hatte diesem Kreis den Fahndungsbegriff „Rote Kapelle“ zugeordnet, verdächtigt der Spionage für die Sowjetunion. Oda Schottmüller wurde angeklagt, ihr Atelier für Funkversuche nach Moskau zur Verfügung gestellt zu haben. Das Reichsgericht verurteilte sie zum Tode: Am 5. August 1943 wurde Oda Schottmüller enthauptet. Die letzte Buchseite zeigt Oda Schottmüller (in einem schwarz/weiß-Foto von Gyula Pap) als ´Henker´ mit Maske, hochgereckten Armen und Fingern wie Krallen. Darunter bewegende Zeilen ihres Abschiedsbriefes an ihre Tante Hilti (Hiltgart Vielhaber). Lakonisch sachlich beschreibt die Autorin das Ende und konfrontiert den Leser mit der Dualität menschlichen Lebens – als Individuum und gesellschaftliches Wesen. „Oda Schottmüller wurde gemeinsam mit Adam Kuckhoff, Maria Terwiel und Hilde Coppi als siebte von insgesamt sechszehn Menschen um 19.18 Uhr enthauptet. Der Henker brauchte 45 Minuten für diese Arbeit. Die Leichen aller Toten wurden der Anatomie in der Charité übergeben. Ein Grab gibt es für keinen von ihnen.“ (S. 302)

Dieses wichtige Buch ist ein hochzuschätzender Beitrag sowohl für die deutsche Tanzgeschichtsschreibung als auch für die detaillierte Untersuchung der Zeit- und Kunstgeschichte. Es porträtiert Künstlerpersönlichkeiten im Kreis der „Roten Kapelle“, von denen Hans Coppi eingangs anmerkt: „Im Spannungsfeld von Anpassung und Selbstbehauptung, von Konformität und Nonkonformität, lebten sie die Doppelexistenz als Künstler im Widerstand mit allen damit verbundenen Paradoxien.“ (S. 15) Überaus anschaulich und lesenswert in ihrer Fülle an Informationen entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Tanzarchiv Köln, der Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin und wichtigen anderen Archiven und Einzelpersonen eine Veröffentlichung, die ein Gewinn darstellt für alle Schüler, Studenten, Tanzschaffende und Tanzbegeisterte, die nicht nur an der Oberfläche künstlerischer und gesellschaftlicher Fragen interessiert sind. Das Buch über Oda Schottmüller macht Geschichte erlebbar und verweist mit seinen Fragen zu Bildung, Ausbildung, Überleben als freie Künstlerpersönlichkeit, Behauptung künstlerischer Visionen, Kritikfähigkeit, Opportunismus, sozialer Kommunikation zugleich immer auf unsere Gegenwart. Das Buch bereitet schwierigste gesellschaftliche und individuelle Entwicklungen bis in kleinste Informationen auf. Die Auflistung der recherchierten Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, Aufsätze und Archivalien, die 515 Anmerkungen und das umfangreiche Namensregister unterstreichen die wissenschaftliche Aussagekraft.

Das umfassend recherchierte Buch fußt auf bisher unveröffentlichten Archivalien, Fotodokumenten und dem auf einem Berliner Flohmarkt entdeckten Nachlass von Oda Schottmüller. Die Autorin entwirft auf 300 Seiten nicht nur einen fesselnden Lebensbericht sondern zugleich ein detailgenaues historisches, kunstgeschichtliches und politisches Zeitpanorama von der Weimarer Republik über die historische Zäsur der Machtergreifung der Nationalsozialisten bis in die Zeit des 2. Weltkrieges.

Geertje Andresen befragte wichtige Zeitzeugen und konnte auf eine Fülle von Dokumenten zurückgreifen, die den Lebensweg wie das künstlerische Schaffen der Bildhauerin und Ausdruckstänzerin mehr als nur fragmentarisch erhellen. Die schwierige Kindheit in Posen und Danzig, der Tod des Vaters, Krankheit der Mutter, die Übersiedlung zur Tante nach Berlin, Odas Jahre im „Paradies“ der reformpädagogischen Odenwaldschule, 1928 der späte Beginn ihrer Tanzausbildung an der Tanzschule von Berthe Trümpy und Vera Skoronel in Berlin-Wilmersdorf, parallel ihr Studium in der Bildhauerklasse von Milly Steger im „Verein der Berliner Künstlerinnen“, Oda Schottmüllers erste Masken- und Kostümentwürfe sowie Porträtbüsten an der modernen Itten-Schule sind faktenreich eingebettet in die Ausführungen zum modernen Tanz in Deutschland und Berlin der 20er Jahre.

Oda Schottmüller war 28 Jahre alt, als die Nazis am 30.1.1933 an die Macht kamen. Die Hälfte ihres bisherigen Lebens war von unterschiedlichen Reformbewegungen der 20er Jahre geprägt, die eine ganzheitliche Entwicklung der Persönlichkeit zum Ziel hatten. Wie, so fragt die Autorin, konnte sie sich in dem totalitären Staat als Tänzerin etablieren und als Bildhauerin behaupten? Die Autorin untersucht die gesellschaftlichen genauso wie die individuellen Bedingungen, die nach dem ersten Solo-Auftritt (Tanz-Matinee am 11. 3. 1934 im Theater am Kurfürstendamm mit „3. Suite in Masken: Zauberer und Verzauberte“) zu einem künstlerischen Aufschwung Oda Schottmüllers als Tänzerin wie Bildhauerin führten. Zugleich offeriert das Kapitel eine Fülle an Informationen über Arbeitskollegen und politisch engagierte Freunde: die Bildhauer Fritz Cremer, Kurt Schumacher, den umfangreichen Freundeskreis um Harro Schulze-Boysen, ihren Korrepetitor, den Komponisten Kurt Schwaen. Die Kapitel zum Tanz im Dritten Reich mit seinen organisatorischen Veränderungen, ästhetischen und politischen Ausrichtungen, der neuen Prüfungsordnung Tanz, den Tanzfestspielen 1934 und 1935, der Entwicklung vom Bewegungschor zum Thingspiel, die Olympischen Sommerspiele 1936 und der Ausdruckstanz, die Begabtenförderung im Rahmen der „Berliner Kammertanz-Veranstaltungen“ und der „Stunde des Tanzes“, die „Fachschaft Tanz der Reichstheaterkammer“ erläutern das Bedingungsgefüge (nicht nur) für Oda Schottmüllers Leben und berufliches Überleben im Krieg. Im Juni 1941 publizierte Oda Schottmüller nach ihrem fünften erfolgreichen Solo-Abend mit positiven Kritiken einen (noch heute merkenswerten) Artikel „Über Tanzmasken“ in der renommierten Monatsschrift „Der Tanz“. Zeitgleich arbeitete sie an Büsten des Staatsschauspielers Paul Bildt, der Schriftstellerin Ilse Molzahn sowie von Carin Göring (der ersten Frau Reichsfeldmarschall Görings) im Auftrag ihres ehemaligen Lichterfelder Lyzeums. Einen Tag vor dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion wurde Oda Schottmüller am 20. Juni 1941 mit der Mitgliedsnummer 68175 in die Fachschaft Tanz der Reichstheaterkammer aufgenommen. Dies ermöglichte ihr (wie anderen Künstlern, interessant sind hier die abgedruckten Berichte der Tänzerin Ilse Meudtner über Auftritte im besetzten Holland) die bezahlte Teilnahme an Wehrmachtstourneen. Oda Schottmüller reiste von Dezember 1941 bis März 1942 nach Holland/Frankreich und von April 1942 bis Juni 1942 nach Italien, das sie so begeistert, das sie einen dortigen Urlaub anschloss. Während Oda Schottmüller in Italien tanzte, bereiteten die Berliner Freunde und eine unabhängig davon agierende Gruppe jüdischer Jugendlicher um Herbert Baum Aktionen gegen die propagandistische Ausstellung „Das Sowjetparadies“ vor, und am 18. Mai 1942 konnten viele Berliner Klebezettel „Das Naziparadies“ an den Hauswänden lesen. Verhaftungen folgten in Berlin einschließlich der des „Rote Kapelle“-Funkers Johann Wenzel in Brüssel. Nach ihrer Rückkehr traf sich Oda Schottmüller in Berlin am 13. Juli 1942 ein letztes Mal mit Kurt Schwaen. Am 28. Juli 1942 erschien ein Fotoporträt über sie in „Die junge Dame“. Für Frühjahr 1943 hatte sie bereits einen Vertrag für eine Solo-Tournee durch Ostpreußen geschlossen. Sie war beglückt und voller Tatendrang.

Am 31. August 1942 wird Harro Schulze-Boysen im Reichsluftfahrtministerium verhaftet, am 7. September Arvid und Mildred Harnack im Urlaub auf der Kurischen Nehrung, am 12. September werden Hans und Hilde Coppi, Kurt und Elisabeth Schumacher, Adam und Greta Kuckhoff ebenfalls des Hochverrats angeklagt und in das Gestapohauptquartier Prinz-Albrechtstraße 8 überführt. Oda Schottmüller wird am 16. September verhaftet. Ihr wird vorgeworfen, ihr Atelier für Funkkontakte zur Verfügung gestellt zu haben. Zusammen mit 41 weiteren Frauen, die von den Nazis dem Fahndungskomplex „Rote Kapelle“ zugeordnet wurden, wird sie in Einzelhaft im Polizeigefängnis am Alexanderplatz inhaftiert.

Am 25. /26. Januar 1943 wird Oda Schottmüller im Prozess der „Beihilfe zur Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und Feindbegünstigung“ angeklagt, für schuldig erklärt, im März in das Gerichtsgefängnis Kantstraße und im Mai 1943 wie alle anderen weiblichen Verurteilten des Fahndungskomplexes „Rote Kapelle“ in das Frauengefängnis Barnimstraße überstellt. Am 21. Juli 1943 wird ein Gnadengesuch der Angehörigen der Widerstandsgruppe Harnack/Schulze-Boysen abgelehnt. Am 5. August 1943 wird Oda Schottmüller in Plötzensee enthauptet.

Erhalten sind die hier erstmals abgedruckten Kassiber, auf denen Oda Schottmüller drastisch, menschlich und ganz ohne Pathos den skandalösen Prozess vor dem Reichskriegsgericht schildert, in dem es zu keiner Zeit um die Aufklärung eines wahren Sachverhaltes gegangen ist. Diese 1992 von der Autorin aufgefundenen Selbstzeugnisse sind der Ausgangspunkt für die vorliegende Publikation. Zweifelsfrei war Oda Schottmüller eine offenkundige Gegnerin der Nationalsozialisten, betont Geertje Andresen, zieht aber aus ihren Untersuchungen der vorliegenden Quellen das Fazit: „Während nun jedoch wesentliche Prägungen und die tragische Entwicklung ihres Lebensweges deutlich werden, scheint sich ihre aktive Beteiligung an Widerstandsaktivitäten zum Sturz des NS-Regimes auf die Frage zu begrenzen, ob ihr Atelier tatsächlich für Funkversuche genutzt wurde. Zweifel daran sind geblieben, Beweise gibt es nicht.“ (S. 23) Die vorliegende Publikation ist zugleich Begleitbuch zur Oda-Schottmüller-Ausstellung des Deutschen Tanzarchivs Köln und der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin.

 

Erstausgabe, 1. Auflage 2005 Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte Kollwitzstraße 57 D 10405 Berlin www.lukasverlag.com ISBN 3-936872-58-9

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern