Die Invasion der Russen

„Schwanensee“ und „Nußknacker“ im Schnäppchen-Angebot

oe
Stuttgart, 10/12/2004

Die Russen kommen nicht erst – sie sind schon da! Und zwar all überall, wenn man den Veranstaltungskalendern in den einschlägigen Magazinen Glauben schenken darf. Man kann die Organisatoren dieser „Schwanensee“- und „Nußknacker“-Tourneen nur bewundern, wie sie es schaffen, kontinuierlich einen Termin an den anderen zu reihen, heute mit dem sogenannten Russischen Nationalballett hier zu sein, für morgen bereits das Russische Staatsballett anzukündigen und in der nächsten Woche dann das Russische Imperialballett, um darauf das St. Petersburger Staatsballett folgen zu lassen. Und als ob das noch nicht genug wäre, offerieren sie zur gleichen Zeit auch noch das Ballett des Staatlichen Akademischen Musiktheaters Kiew, das Ballett der Tatarischen Staatsoper Kasan und das Ballett der Staatsoper Minsk, während zum Einspringen notfalls auch das Rumänische Staatsballett bereitsteht. Und sollte zwischen Schleswig-Holstein und dem Burgenland, zwischen Saarbrücken und Frankfurt an der Oder noch ein zusätzlicher „Schwanensee“ oder „Nußknacker“ gewünscht sein – bitte: das Ballet Classique de Paris der unermüdlichen Jaqueline Jacquet macht sich bereits in den Kulissen warm. Und das ja durchaus nicht nur in der abgeschiedenen Provinz, sondern selbst in den sogenannten Balletthochburgen wie Berlin, München, Stuttgart und Wien, die ihre eigenen hausgemachten Produkte offerieren.

Der Bedarf scheint geradezu unersättlich zu sein! Zu groß, wie es scheint, so dass die Tageszeitungen es schon lange aufgegeben haben, darüber zu berichten – von den Fachzeitschriften gar nicht zu reden. Und doch muss man angesichts dieser Inflation danach fragen, ob es nicht an der Zeit wäre, sich endlich einmal seriös mit diesen Tourneeunternehmen zu beschäftigen und sie zu hinterfragen. Die Tänzerinnen und Tänzern zu interviewen, die für ihre One-Night-Stands hin und her gekarrt werden. Wie und wo kommen sie unter – was bekommen sie an Tagegeldern – wie sind ihre Arbeitsbedingungen – werden sie von den Managern der Agenturen als Künstler überhaupt ernst genommen oder lediglich als Tanzsklaven ausgebeutet? Haben diese „Schwanenmeere“ und „Nußknacker“ („Dornröschen“ passt nicht so recht ins saisonale Angebot) überhaupt noch einen künstlerischen Wert oder fungieren sie quasi als kommerzielle Wegwerfprodukte?

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