Der tanzende Zeitgeist ist weiblichen Geschlechts

Amelie Soyka: „Tanzen und tanzen und nichts als tanzen Tänzerinnen der Moderne von Josephine Baker bis Mary Wigman“

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Stuttgart, 26/11/2004

Da hat die Neue Rechtschreibung doch prompt eine ihrer dringendsten Reformnotwendigkeiten verpasst! Denn aus ist‘s mit dem männlichen Zeitgeist. Der nämlich hat sich, zumindest soweit er tänzerisch in Erscheinung tritt, einer Geschlechtsverwandlung unterzogen. Wie aber sollen wir die nennen? Die Zeitgeistin?

Ausgiebig zitiert Amelie Soyka als Herausgeberin des Bandes „Tanzen und tanzen und nichts als tanzen – Tänzerinnen der Moderne von Josephine Baker bis Mary Wigman“ (284 Seiten, 38 Abbildungen, 19,80 Euro, erschienen im Aviva Verlag, Berlin 2004, ISBN 3-932338-22-7) in ihrem Vorwort Helene Jung, die bereits 1932/33 in einem Artikel für eine Revision der männlichen Dominanz als entscheidende künstlerische Kreativkraft plädierte: „Am überzeugendsten, am eklatantesten zeigt sich die Emanzipierung der Frau im weitesten Sinne des Wortes im neuen Tanz. Die Frau hat im neuen Tanz die Führung übernommen, bei ihr liegt die große, starke, die ‚männliche‘ Geste, sie hat Wege gezeigt, die die Welt durch ihre Kühnheit und Großartigkeit überraschte. In diesem Sinne sind unsere großen modernen Tänzerinnen Kämpferinnen für die Zukunft der Frau.“

Entsprechend hat sie dreizehn Kolleginnen und einen Kollegen eingeladen, insgesamt sechzehn herausragende Repräsentantinnen des modernen Tanzes zu porträtieren (Graham und Humphrey hat Sabine Huschka in einem Doppelporträt zusammengefasst – und ihre Gegenüberstellung ist eins der erhellendsten Kapitel des Buches) – und sich selbst die Porträtierung Valeska Gerts unter dem Titel „Lauter zischende kleine Raketen“ vorbehalten. Gemessen an dem ausgesprochen politisch-emanzipatorischen Anspruch ihrer eigenen beiden Beiträge im Vorwort und im Kapitel über Valeska Gert, dürfte sie wohl über die überwiegend eher harmlos-konventionelle Perspektive ihrer Koautorinnen in der Zeichnung der diversen Persönlichkeiten nicht allzu glücklich gewesen sein.

Am ehesten wird noch Janine Schultze in ihrem Kapitel über Isadora Duncan („Den befreiten Körper suchend“) dieser Doppelrolle „als Pionierin der Tanzkunst aber auch als Ikone der Frauenbewegung“ gerecht – und nach und neben ihr Jürgen Trimborn, der Anita Berber als Tänzerin „der Erotik und Ekstase“ feiert. Immerhin wird man Soyka zugutehalten, dass sie in ihrem Buch ein paar bisher kaum bekannte Autorinnen präsentiert. Wobei ich zu den arrivierteren Namen Silvia Kargl (Grete Wiesenthal), Angela Rannow (Palucca), Ursula Pellaton (Trudi Schoop), Gunhild Oberzaucher-Schüller (Rosalia Chladek – eine hochgradig pointierte Studie) und Katja Schneider (Margarethe Wallmann) rechne.

Neu für mich sind Sabine Gottgetreu (Loïe Fuller), Gabriele Fritsch-Vivié (Mary Wigman), Britta Jürgs (Josephine Baker) und Garnet Schuldt-Hiddemann (Dore Hoyer). Hätte ich die Auswahl getroffen, würde ich wohl zusätzlich für Ruth St. Denis, Sent M‘Ahesa, Niddy Impekoven und Clotilde von Derp plädiert haben. Dagegen hätte ich Tatjana Barbakoff („Fremdartig wie der ferne Osten“ von Anja Hellhammer) und Jo Mihaly („Eine politische Dichterin des Tanzes“ von Yvonne Hardt) wohl glatt übersehen. Und so bin ich Soyka denn doch ausgesprochen dankbar, dass sie mich auf diese beiden Tänzerinnen aufmerksam gemacht hat, die ich in meinen diversen Lexika schlicht vergessen habe.

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