Merce Cunningham Dance Company zur Eröffnung von Dance 2002

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München, 29/10/2002

Ein Paukenschlag zur Eröffnung des Münchner Dance Festivals 2002: der erste von zwei Abenden der New Yorker Merce Cunningham Dance Company im Staatstheater am Gärtnerplatz vor einem ausgesprochenen Insider-Publikum.

So viele Erinnerungen kamen an diesem Abend hoch: an die ersten Begegnungen während der sechziger Jahre in Köln und Berlin, die langen Wochen 1964 in New York bei den Vorstellungen in der Judson Church, die Abende mit Cunningham, Taylor und Bob Wilson bei Edwin Denby in seinem Loft in Greenwich Village (nebst den Gastbesuchen in Merces Studio) und dann über die Jahre hinweg immer mal wieder die Gastspiele der Kompanie in allen Teilen der Welt.

Doch liegt die letzte Begegnung schon wieder ein paar Jahre zurück – viel zu lange, wie mir an diesem Abend klar wurde, der mir wie ein erfrischendes tänzerisches Reinigungsbad vorkam nach all dem Schrott und den untänzerischen, unmusikalischen, verquasselten und verqueren Körperentstellungen, die uns so oft als letzter Schrei des Bühnentanzes verkauft werden.

Sogar eine neue Erfahrung hielt dieser Abend bereit: die Beglückungen, die Cunninghams Choreografie auslöst, die doch angeblich so total emanzipiert von der Musik existiert, im Zusammenwirken mit der Musik etwa von Brian Eno („Pond Way“) und Christoph Wolff („Loose Time“). Und sogar im Fall der nervtötenden Sounds eines John King („Native Green“ vom gleichen Mr. King, der als Hauskomponist von Kevin O‘Day fungiert – bei der nächsten Geiselnahme sollte man die Terroristen mit dem Full-Blast-Volume dieser „Musik“ beschallen – ich garantiere, dass sie fluchtartig das Weite suchen würden!), indem sie sich souverän über diesen Überfall auf unser Gehör hinwegsetzt.

Hinreißend gleich die Eingangsnummer des „Pond Way“ vor dem pointilistischen Hintergrundprospekt von Roy Lichtenstein in den cremefarbigen, flattrigen, geschlitzten Kostümen von Suzanne Gallo. Eine Choreografie, die mich in ihren Armfigurationen, besonders wenn die acht Frauen und fünf Männer sich aus ihren polyphonen Solo-Motionen lösen und sich unisono en bloc vereinigen, geradewegs an Petipas Bayaderen-Auftritt im Reich der Schatten erinnerte. Cunninghams „Pond Way“ oder der Teich als Biotop – nicht des klassisch-akademischen, sondern des modern-klassischen Tanzes – von einer ganz ähnlichen narkotischen, uns über unsere Alltagsrealität hinaushebenden Wirkung wie Solors Opiumtraum.

Wunderbar, diese Cunningham-Tänzer, die dann in „Loose Time“ in ihren metallisch glitzernden Ganztrikots wie sechzehn Teufel durch das verwirrende schwarze, feurig rot grundierte Netzwerklabyrinth der Hölle von Terry Winters flitzen. So klassisch schön kann moderner Tanz sein (und wenn sich Petipa seine Anregungen für den Schattenakt bei Gustave Dorés Illustrationen zu Dantes „Divina Commedia“ geholt hat, so könnte sich Cunningham für seine Höllenvision von der gleichen Quelle haben inspirieren lassen). Schön auch, den dreiundachtzigjährigen Altmeister auf seinen Stock gestützt, sich mit verschmitztem Lächeln verbeugen zu sehen – ein Yankee auf Europa-Visite!

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