John Cranko zum 75. Geburtstag

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Stuttgart, 15/08/2002

Die Stuttgarter Ballettdirektion kann sich glücklich schätzen, dass John Crankos 75. Geburtstag mitten in die Theaterferien fällt. Denn wie hätte sie ihn sonst feiern sollen? Vorweg? Hinterher? Ist nicht jede Vorstellung eines seiner Ballette eine Feier – mal ein bisschen bescheidener, oft genug aber – und das haben wir ja gerade am Schluss der letzten Saison erlebt – eine Gala! Und das ist schon erstaunlich, bedenkt man, dass es im nächsten Juni ja bereits seines dreißigsten Todestages zu gedenken gilt.

Wieviel ist denn von den einst so gerühmten Balletten etwa Fokines oder Massines übrig geblieben? Dabei erfreuen sich Crankos „Romeo und Julia“, „Onegin“ und „Der Widerspenstigen Zähmung“ auch heute noch einer ungebrochenen weltweiten Popularität – sowohl bei den Tänzern als auch beim Publikum (und das gerade in dieser von der Mehrzahl der Kritiker so skeptisch beäugten Gattung des abendfüllenden Handlungsballetts). Ja, bei der Einstudierung seines „Onegin“ kürzlich durch das Londoner Royal Ballet gab es sogar vereinzelte Stimmen, die sich für eine Wiederbelebung seiner frühen englischen Ballette stark machten.

In London ist übrigens vor ein paar Wochen im Sadler's Wells Theatre ein Cranko-Porträt-Basrelief eines polnischen Künstlers enthüllt worden, das daran erinnert, dass Crankos „Pineapple Poll“ und „Harlequin in April“ hier 1951 ihre Uraufführung erlebten (da war er also gerade 24). Und aus Chicago lesen wir im (erst jetzt erschienenen) Spring 2002 Heft der amerikanischen Ballet Review einen Bericht von Sybil Shearer, der großen alten Dame des amerikanischen Modern Dance (in deren Gruppe John Neumeier als Fünfzehnjähriger mittanzte), über eine Vorstellung des Joffrey Ballet mit der „faszinierenden abendfüllenden ‚Widerspenstigen Zähmung‘, einem dramatischen Stück von John Cranko, geschaffen 1969 für das Stuttgarter Ballett in Deutschland, wo sie, Gott sei Dank, nicht gegen Graham oder Balanchine zu revoltieren hatten ... Es ist ein Ballett, das wie ‚Der Nussknacker‘ sein könnte und – wie ich hoffe – eine sechswöchige Saison im Auditorium Theater haben wird."

Wer hätte das gedacht: eine der Pionierinnen des Modern Dance in Amerika wünscht sich anstelle des „Nussknacker“ ein sechswöchiges Gastspiel von Crankos „Widerspenstiger“ in einem Theater in Chicago! Wenn das kein Beweis für die fortzeugende Energie von Crankos zwölfjährigem Wirken in Stuttgart ist (Noverre brachte es gerade mal auf die Hälfte dieser Zeit)!

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