Weihnachtsparty bei Spoerli

oe
Zürich, 24/12/2001

Spoerli hat die ganze Kompanie zu sich nach Hause eingeladen. Gewöhnlich meide ich solche Einladungen, gehe auch nur ausnahmsweise zu Premierenfeiern – doch diesmal bin ich neugierig. Nicht alle sind erschienen, aber an die fünfzig, sechzig Gäste sind gekommen, ein paar mit ihren Angehörigen oder Freunden, und sogar ein paar Kleinkinder sind dabei. Erste Kontakte beim Apéro im Partykeller. Die Umgangssprache ist Englisch, aber die meisten sprechen auch ganz gut deutsch.

Zur eigentlichen Feier geht´s ins Obergeschoss, in Spoerlis superschicke Penthouse-Suite, wo ein Catering-Service alle Vorbereitungen für ein opulentes Weihnachtsmahl getroffen hat, das dann an Tischen für jeweils etwa zehn Gäste serviert wird – nicht zu vergessen die verschiedenen exquisiten Weine. Spoerli selbst kümmert sich um das Wohl jedes Einzelnen.

Es geht hoch her, die Stimmung ist aufgekratzt, sehr locker und lautstark, aber es gibt gottlob keine Reden. Jeder erhält ein Überraschungsgeschenk vom Weihnachtsmann Chris Jensen: einen Beutel von einigem Gewicht. Großes Rätselraten. Als es ans Öffnen geht, ist das Staunen allgemein: es handelt sich um die ersten Päckchen mit den neuen Euro-Münzen – und das in der Schweiz, die an der Währungsumstellung nicht beteiligt ist!

Der einzige Kritikergast des Abends wird nach Strich und Faden ausgefragt. Mit leuchtenden Augen über Stuttgart, das offenbar von vielen für das Tänzer-Paradies auf Erden gehalten wird, zu dem enge Beziehungen bestehen. Vor diesem Publikum tanzen zu dürfen, das gibt es auf der ganzen Welt nicht noch einmal! Viel Bewunderung für Andersons Tänzerpolitik und die von ihm bewirkte frappierende Verjüngung der Kompanie, auch für seine Risikobereitschaft hinsichtlich der Förderung junger Choreografen. Viel Lob auch für Fritz Höver und seinen nimmermüden Einsatz in der Noverre-Gesellschaft. Wenig Verständnis dagegen für Andersons tollpatschige Handhabung der leidigen Illmann-Affaire (sie ist in Zürich ein immer wieder gern gesehener Gast).

Endlose Neugierde: Wie beurteile ich die Situation in Berlin, wird Malakhov es an der Staatsoper schaffen, wie lange soll die unselige Hinhaltepolitik an der Deutschen Oper noch andauern – mancherlei Seitenhiebe auch auf das in Berlin erscheinende „Europe´s Leading Dance Magazine“. Wie war Neumeiers „Winterreise“ in Hamburg – was macht Schläpfer in Mainz – wie kommt Liška in München voran...?

Fragen über Fragen, und ich werde mir wieder einmal bewusst, wie glücklich ich mich schätzen kann, in meinem Greisenalter noch so viel herumzukommen. Angesichts so vieler Jugend, von so viel Optimismus und so viel Tänzerglück, in einer so weltoffenen Stadt, in einer so tollen Kompanie mit einem so ausgewogenen Repertoire engagiert zu sein, komme ich mir doppelt alt vor. Und genieße jede Minute dieses langen Abends in der Heiligen Nacht. Welch eine Weihnachtsbescherung!

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