John Cranko-Klassiker

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Stuttgart, 22/11/2001

Eine Wiederholungsvorstellung des Programms, das im Rahmen des vierzigjährigen Jubiläums-Festivals am 4. November Premiere hatte. Ein volles Haus, erwartungsvolle Spannung, reichlich Szenenbeifall, großer Applaus schon nach dem ersten Teil und erst recht am Schluss, mit zahlreichen kleinen Blumensträußen, die von beiden Seiten auf die Bühne fliegen. Stuttgarter Ballettalltag eben. Anderen Städten zur Nachahmung empfohlen!

Zunächst „Pineapple Poll“ als Koproduktion der John Cranko-Schule und des Stuttgarter Balletts, Jahrgang 1951, als Cranko gerade vierundzwanzig war – dann „The Lady and the Fool“, uraufgeführt 1954. Viele Ballette dürften es nicht sein, die aus jenen Jahren übriggeblieben und einem heutigen Publikum noch zumutbar sind. Ich kenne beide Ballette bereits aus den fünfziger Jahren und hatte nie viel dafür übrig: zu Englisch, zu rührselig, zu viel Slapstick-Komik, die Musikarrangements (Arthur Sullivan und Giuseppe Verdi) von Charles Mackerras zu aufgebläht (wie auch seine musikalische Einrichtung für „La Fille mal gardée“ – überhaupt wird man sich bewusst, wie gerade die englische Traditionslinie von „Pineapple Poll“ zur „La Fille mal gardée“ verläuft).

Heute sehe ich das ein bisschen anders – historisch, nicht nur weil man hier doch schon viele Cranko-Gene entdeckt, die dann in seinen späteren Balletten voll zur Entfaltung gelangt sind. Ein bisschen trauere ich dieser aussterbenden Gattung der Operettenballette nach, die dem Publikum und den Tänzern so viel Spaß gemacht und unweigerlich gute Laune gestiftet haben (und das auch heute noch tun – schließlich besteht das Publikum ja nicht nur aus Kritikern!), diesen Massines und Lichines und Ashtons – auch von Cranko gibt es ja noch mehr von dieser Sorte (ich denke etwa an „Bonne-Bouche“, „La Belle Hélène“ und „Sweeney Todd“) – mit ihren Musikarrangements (es muss ja nicht immer Mackerras sein) nach Offenbach, Strauß, Lecoq und wie sie alle heißen, die so elektrisierend in die Beine gehen – auch dieser Eleganz in den Kostümen (sehr schöne neue Kostüme für „Lady“ von Astrid Behrens).

Das Wort Spaß ist ja heute weitgehend verpönt, nachdem wir alle zu einer Spaßgesellschaft verlottert sind – trotzdem: Ich bekenne, dass ich an einem Theaterabend lieber Spaß habe – unter anderem –, als in einer Ballettvorstellung zu sitzen und einem angloamerikanischen Kauderwelsch zuzuhören, um hinterher im Programmheft zu lesen, was das alles zu bedeuten habe.

Doch wie dem auch sei: das muss schon ein rechter Griesgram sein, dem es keinen Spaß macht, soviel jugendliche Frische und Spontaneität und Eifer zu sehen, mit dem die Tänzer, solche, die es erst noch werden wollen, und solche, die es schon sind, sich in ihre Rollen stürzen zu sehen, in ihre kleinen Soli, ihre Ausstellungs-Pas-de-deux und größeren Ensembles, mit welcher Disziplin auch, von der blitzblank polierten Technik gar nicht zu reden. Es ist eine Freude, teilzuhaben, wenn diese schiere Tanzlust auf das Publikum überschwappt. Sind diese Ballette in den fünfziger Jahren technisch so gut getanzt worden wie heute von den Stuttgartern? Ach ja, Beriosova und Fifield, Blair, MacLeary und Grant – ich habe die ja alle noch gesehen und nach wie vor zärtliche Erinnerungen an sie.

Aber das hindert mich doch nicht, mich heute an Carolina Boscans herzhafter Poll, an Mikel Jauregui Garcias spritzigem Jasper, an Xavier Arno Gonzalez' feschem Captain Belaye und Anna Wolkowskajas Mrs Dimple alias Miss Britannia of the Waves und dieser ganzen putzmunteren Bevölkerung von Portsmouth zu ergötzen. Und man muss ja nicht unbedingt in Rührung zerfließen aus lauter herzschmerzlicher Sympathie für die beiden traurigen Clowns von Roland Vogel (sicher eine seiner besten Rollen) und Alexander Zaitsev und die hochelegante Lady der wunderbaren Sue Jin Kang, die das ganze öde Gesellschaftstreiben satt hat und mit den beiden Clowns aufbricht in eine ungewisse, aber gewiss von menschlicher Wärme erfüllte Zukunft, um mit ihnen zu sympathisieren, die so harmonische Partnerschaft von Kang und Vogel zu bewundern und wie dessen Bruder, der blutjunge Friedemann (hier als Prinz) von Erfolg zu Erfolg fliegt. Glückliches Stuttgart, wo selbst die Abonnementsvorstellungen eine solche Qualität haben!

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