Robbins, Cranko, Forsythe und Spuck zum Zweiten

oe
Stuttgart, 09/05/2001

Oft geschieht es nicht, dass ich so bald nach der Premiere freiwillig eine weitere Vorstellung besuche. Doch die Fülle der Eindrücke war diesmal so überwältigend, dass ich´s denn doch noch etwas genauer wissen wollte. Und ob es sich gelohnt hat! Ein gerammelt volles Haus auch diesmal (was bei Mehrteilern auch in Stuttgart nicht selbstverständlich ist).

Endlich einmal wieder ein Programm auch für den anspruchsvolleren Musikfreund: Schubert (Forsythe), Skrjabin (Cranko), Strawinsky (Robbins) und Webern/Herrmann (Spuck) – alles live gespielt (außer den Filmmusik-Interpolationen natürlich) – und wie gespielt von der Staatskapelle unter der Leitung von James Tuggle! Eine Frage der Musikerehre offenbar! Hätte man die Augen geschlossen, hätte man sich an einem Red-Letter-Day im Konzertsaal gewähnt. Das Spuck-Ballett, in gleicher Besetzung wie in der Premiere, wird immer mysteriöser, gibt immer mehr Rätsel auf. Das unverständliche Wortgebrabbel enerviert eher noch mehr. Nicht „Carlotta´s Portrait“ sollte es heißen, sondern „Friedemann´s Mystery“ – denn der pantherkatzenhaft geschmeidige Vogel junior ist der eigentliche Held dieses Ballet noir (wenn man denn seinen Bruder Roland Vogel als Senior bezeichnen mag), nicht die altjüngferlich durch das Stück geisternde Kim-Novak-Urahnin.

Leicht umbesetzt der Forsythe-Turbo – aber der wurde am Premierenabend von Robert Tewsley und Eric Gauthier samt Sue Jin Kang, Julia Krämer und Elena Tentschikowa mit noch mehr Drive und Speed über die Runden gejagt als diesmal von den nicht ganz so perfekt aufeinander abgestimmten Douglas Lee, Thomas Lempertz, Julia Krämer, Katja Wünsche und Patricia Salgado.

Doch der geheime Grund meines Zweitbesuchs war die Alternativbesetzung der beiden Hauptrollen in Crankos „Poème de l´extase“. In der Fonteyn-Partie diesmal also Bridget Breiner, die auch an diesem Abend im – identisch besetzten – Robbins mit ihren messerscharf geschliffenen Beinen Furore machte. Als Wiener Sezessions-Diva ist Breiner denn doch ein anderes Kaliber als ihre Stuttgarter Kollegin: sehr distinguiert, sehr elegant, sehr schön – aber noch fehlt ihr jener Hauch von lässiger Müdigkeits-Dekadenz, in der sich der Abendglanz der sterbenden k. u. k. Donaumonarchie spiegelt.

Toll, dass Stuttgart mit zwei derart gegensätzlichen, technisch derart hochkarätigen Besetzungen für die Rolle aufwarten kann, die „Der Jüngling“ heißt. Ich wüsste nicht, wen ich vorziehen sollte. Tewsley ist der etwas reifere, aristokratischere, elegantere Kavalier – so ganz und gar aus hofmannsthalischem Geblüt, dass eine Traumrolle für ihn wohl der Octavian in einem „Rosenkavalier“-Ballett wäre. Friedemann Vogel, der sich immer mehr in die Position von Stuttgarts Prince Charming tanzt, ist als der Jüngere zugleich auch der draufgängerischere, burschikosere, hemdsärmeligere, der mit dem Kopf durch die Wand will – ihn sehe ich eher als einen Figuranten des Schnitzlerschen „Reigens“, beziehungsweise als Gymnasiast in Wedekinds „Lulu“. Quel embarras de richesses!

Kommentare

Noch keine Beiträge